Gestern Abend gab es Psalmen. Nun ja. Da bin ich noch nicht so recht in Schwung gekommen. Da muss ich noch mal sehen, ob das was für mich ist. Das Seminar ist mehr auf Nichttheologen ausgerichtet; ich hab also nicht so ganz neue Ideen fassen können. Einen Text aber habe ich in der Begleitlektüre gefunden. Ich schreib mal die Übersetzung hier nebenan. Es geht darum, Psalmen als Poesie zu lesen. Und wie liest man Poesie? Der „Club der toten Dichter“ lässt grüßen. Aber heute früh wurde es besser. „Gendered approach to faith“. „Gender“ (sprich: Djender) ist ein Wort, das wird auch im Deutschen nicht übersetzt. Es meint Geschlecht, aber nicht das biologische, sondern eher das soziale. Rachel leitet den Kurs und hier sie ist in ihrem Element. Und sie wird auch andere Dozenten einladen (darunter Sam). Das wird spannend. Was bedeutet es, wenn man als Mann oder als Frau glaubt, theologisch nachdenkt, handelt… Rachels Definition von Feminismus ist hübsch: Feminismus ist „die Überzeugung, dass sowohl Frauen als auch Männer grundsätzlich vollwertige menschliche Wesen sind.“ Charmant, weil Feminismus so oft mit Kampf-Emanzentum assoziiert wurde/wird. Und hier wird einfach eine Selbstverständlichkeit beschrieben, wo man sich fragt: Vollwertige menschliche Wesen – na klar, was denn sonst? Aber lange war das eben gar nicht so selbstverständlich – und diese Geschichte wirkt immer noch nach. | Ich bitte sie, ein Gedicht zu nehmen und es gegen das Licht zu halten wie ein Dia oder lauschend das Ohr dran zu halten Ich sag, schickt eine Maus in das Gedicht und beobachtet, wie sie wieder heraus findet Oder geht umher im Raum des Gedichts Und sucht die Wand entlang den Lichtschalter Ich möchte, dass sie Wasserski auf der Oberfläche des Gedichts fahren dem Namen des Autors am Strand zuwinken aber alles, was sie machen wollen, ist, es mit einem Strick an den Stuhl fesseln und ein Geständnis herausfoltern sie schlagen es mit einem Schlauch um herauszufinden, was es wirklich bedeutet. |
Dabei merke ich übrigens: Zuhören (auf Englisch) macht mir keine Probleme. Im Gegenteil, ich wandere fließend zwischen zwei Sprachen hin und her, mache mir Aufzeichnungen in der Sprache, die mir gerade in den Sinn kommt, verfolge den auf Englisch verhandelten Text in meiner Lutherbibel. Es macht mir Spaß, in zwei Sprachen spazieren zu gehen. Ich glaube, ich rede hier nicht ganz so viel wie zu Hause, aber das ist ja auch kein Schade.
David hat einen Zugang zu Paulus, der mir nahe liegt. Zum Anfang ging es heute um die Frage, was das war, was Paulus in Damaskus erlebt hat. Paulus selber beschreibt, dass er eine Erscheinung gehabt hat. Er hat Christus gesehen. Aber was war das? In der kirchlichen Tradition wird es die „Bekehrung“ des Paulus genannt. Aber Bekehrung heißt ja, dass einer eine „Kehre“ macht, dass er erst auf dem falschen Weg war und nun auf dem richtigen angelangt ist.
Wenn das auf Paulus bezogen wird, dann bedeutet das aber zweierlei:
1. Es ist schlicht Antijudaismus. Erst war er ein „schlechter“ Jude (ein Saulus), dann ein „guter“ Christ (ein Paulus). Das ist kein neuer Gedanke für mich; dass man in Queen’s so ein Denken ablehnt, war mir nicht überraschend, aber erfreulich.
2. Dass man Paulus Erlebnis als „Bekehrung“ bezeichnet, hat aber auch mit Luther zu tun – auf eine Art, die mir nicht so klar war. Luther hat – Freud lässt grüßen – seine eigenen Probleme auf Paulus projiziert. Er war ins strengste Kloster eingetreten, das ihm zur Verfügung stand, hat viel zu wenig geschlafen, viel zu wenig gegessen, viel zu viel gebetet, so dass ja bekanntlich selbst sein Beichtvater fand, er übertreibt es. Alles nur, weil er eine – buchstäbliche – Höllenangst vor dem Urteil Gottes hatte. Und dann kam ihm die Erleuchtung, dass Glaube genug ist – aus Römer 1,17: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, kommt aus Glauben.“ So weit so gut – für Luther. Nur hat er jetzt angenommen, dass Paulus vor Damaskus genauso unglücklich wie er gewesen sein muss – unglücklich mit seinem Jude-Sein! Davon ist in den Briefen des Paulus aber keine Rede. Im Gegenteil, er pranzt regelrecht damit. Im Philipperbrief (3,5-6) zählt er stolz auf, wie er alles richtig gemacht hat. „Ich habe einen ordentlichen Stammbaum, ich bin, wie es sich gehört, am 8. Tag beschnitten worden, ich habe mich nach den Geboten gerichtet, ich war untadelig...“ Alle „badges of honour“ (Ehrennadeln) heftet er sich stolz ans Revers. Als er seine Erleuchtung hatte, war er kein gequälter, leidender, mit dem Teufel ringender Mensch, sondern ein mit sich selbst sehr zufriedener Typ. Das ist ein großer Unterschied zu Luther, der mir bisher nie so bewusst war.
Die Christus-Erscheinung, die Paulus gehabt haben muss, die hat dann allerdings alles umgekrempelt. Nur: Paulus hat das Ereignis als Berufung verstanden und beschrieben, nicht als Bekehrung. Nicht nur ist er nie vom Saulus zum Paulus geworden, mehr noch: Paulus war nie Christ. Er ist immer Jude geblieben. Er musste „nur“ radikal überdenken, was das im Lichte Christi bedeuten mag. Paulus war nie Christ – das ist doch ein spannender Ausgangspunkt für ein Paulus-Seminar…
(Lustig finde ich ja dennoch, dass er hier Paul heißt. Ich muss bei Paul natürlich immer an meinen Großvater Paul Söller denken. Eine Zeit lang hatte er einen Wellensittich namens Paulchen. Leider ist Paulchen vor Paul verstorben. Leider, weil Paul um Paulchen mehr getrauert hat, als es umgekehrt der Fall gewesen wäre.)