Der Schaukasten mit unseren Arbeitsergebnissen | Ja, ein bisschen traurig war mir heute schon, als ich zum letzten Mal in der Schule war mit meinen sieben Schülern Alyx, Calista, David, James, Megan, Michal und Miya. Ich hätte gerne mehr Zeit mit denen gehabt. Wir haben die Eulenspiegel-Geschichten fertiggestellt. Zwei dieser Geschichten haben sie zu Comic-Strips verarbeitet. David, der kleinste und cleverste hat mit meiner Hilfe die Sprechblasen sogar in Deutsch geschrieben. Und dann haben wir die Ergebnisse in einem Schaukasten im Schulflur aufgehängt. David schaut zum Schluss und meint: „Looks good.“ Sieht gut aus! Er war richtig zufrieden – zu Recht. Von der Schulleiterin habe ich eine Orchidee als Dankeschön bekommen. Mal sehen, wie ich die heil nach Hause kriege… |
Und dann heute mein Lieblings-Shakespeare „Kaufmann von Venedig“ im Royal Shakespeare Theatre in Stratford-upon-Avon. In einer überraschenden Inszenierung. Überraschend und brillant! Ich mag das Stück, weil sich – behaupte ich – nur ein Shakespeare das traut, so die Genres zu vermischen. Da ist die sehr ernste Geschichte über Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit. Und gerade ist man noch damit beschäftigt, schon wird man in eine luftige Märchenwelt versetzt, wo Prinzen zwischen drei Kästchen wählen müssen, um die Prinzessin zu gewinnen. Und zum Schluss schwebt die Märchenwelt in die reale Welt ein und rettet dem Kaufmann das Leben. | Die Tulpen sind raus! Und die neue Bepflanzung noch nichts drin. |
2007 hat man in die Hülle des Theaters von 1934 das neue Theater gebaut. Das hier war die Eingangshalle des alten Theaters. Die Uhr und alles sind original. | Für die, die die Geschichte nicht kennen: Der Kaufmann heißt Antonio und ist ein melancholischer Mensch. Wenn, dann hat er überhaupt nur eine Liebe in der Welt, und das ist Bassanio, ein junger, ständig über seine Verhältnisse lebender Mann. Viele Aufsätze sind geschrieben, ob die Beziehung der beiden homoerotisch ist. Diese Inszenierung hat die Frage ohne Schnörkel mit Ja beantwortet. Bassanio möchte gerne die schöne (und reiche) Portia für sich gewinnen. Dafür braucht er Geld. Antonio würde ihm alles geben, aber sein Geld ist unterwegs mit seinen Handelsschiffen. Er leiht sich also bei Shylock, dem Juden, dreitausend Dukaten auf den zu erwartenden Gewinn seiner Schiffe. |
Shylock, in einem Anfall von bitterem Witz macht mit ihm einen Vertrag, dass er für den Fall, dass er nicht pünktlich sein Geld zurückerhält, sich aus Antonios Brust ein Pfund Fleisch herausschneiden darf. Antonio – zuversichtlich, dass er bezahlen kann – unterschreibt. Bassanio wird also ausgestattet und macht sich auf, Portia zu gewinnen. Das geht nur, indem er das richtige Kästchen auswählt. Er hat die Wahl zwischen einem goldenen, einen silbernen und einem bleiernen. Und natürlich wählt er das unscheinbare, bleierne – und liegt richtig. Gerade als die beiden so richtig glücklich sind, kommt Nachricht aus Venedig. Antonios Schiffe sind alle untergegangen. Er ist pleite. Shylock will sein Pfund Fleisch. | Da waren im alten Theater die Aschenbecher. Heute sind es Lampen. Aber die Rauchspuren hat man nicht von den Steinen abgekärchert. |
Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang. Sie träufelt wie des Himmels milder Regen Zur Erde unter ihr; zwiefach gesegnet: Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt. | The quality of mercy is not strain'd, It droppeth as the gentle rain from heaven Upon the place beneath: it is twice blest; It blesseth him that gives and him that takes. |
Hier geht es zwischen der alten Außenwand und der neuen inneren Außenwand ins Café | Aber Shylock will sein Recht. Er ist bitter geworden – nicht nur weil Antonio ihn früher verachtet und ihn öffentlich angespuckt hat. Sondern, weil ein Christ, Bassanios Freund Lorenzo, seine Tochter verführt hat. Jessica hat ihren Vater verlassen, ihm eine beträchtliche Summe Geld gestohlen und sich um den jungen Mannes willen taufen lassen. Daher ist Shylock bitter und will sein Pfund Fleisch. Und da gibt der junge Rechtsgelehrte, also Portia, ihm Recht und erlaubt ihm, sich sein Pfund Fleisch zu holen. Aber gerade als er das Messer ansetzt, stoppt sie ihn und macht ihn auf verschiedene Klauseln aufmerksam: Da in dem Vertrag keine Rede von Blut ist, soll er jetzt sehr vorsichtig sein, dass er auch ja keinen Tropfen Blut vergießt. Außerdem muss er darauf achten, dass er exakt ein Pfund aus dem Kaufmann rausschneidet, nicht zu viel und nicht zu wenig. Da verzichtet Shylock. Schließlich wird er, weil er Antonio nach dem Leben getrachtet hat, seines ganzen Besitzes beraubt und gezwungen, sich taufen zu lassen. Er verlässt als geschlagener und gedemütigter Mann die Szene. |
Ich hab das Stück zweimal auf deutschen Bühnen gesehen und ich kenne als DVD die Verfilmung mit Al Pacino als Shylock. Amerikaner können natürlich unbefangener an das Stück herangehen als Deutsche. Der Film hat einen Vor- und einen Nachspann. Am Anfang wird kurz mit Bildern und wenig Text erzählt, wie Juden in Venedig diskriminiert wurden, in Stadtteil Ghetto leben mussten (daher der Begriff Ghetto), das nachts abgeschlossen wurde. Es wird also untermalt, warum Shylock so bitter geworden ist, dass er gute Gründe dafür hat. Im Nachspann wird gezeigt, wie Shylock seiner Gewohnheit nach am Schabbat in die Synagoge gehen will und die Juden vor ihm die Türen verschließen. | Die Bühnenbretter der alten Bühne hat man nicht weggeworfen, sondern das Foyer damit gedielt. Wir laufen also auf den gleichen Bretten, auf denen Laurence Olivier und Judi Dench gestanden haben! |
Der Fußboden und die Rückwand der Bühne - alles Spiegel | In Stratford-upon-Avon hat man die Bühne aus lauter Spiegeln gebaut. Das Programm stellt am Anfang eine Frage. Portia, als sie den Gerichtssaal betritt (angeblich als junger Rechtsanwalt), fragt als erstes: „Wer ist hier der Kaufmann und wer der Jude?“ Das ist eine unsinnige Frage. Selbst wenn man sich viel Mühe gibt, Shylock nicht als Karikatur zu spielen, Shakespeare lässt ihn so „jüdisch“ reden, dass sich die Frage erübrigt. Warum dann also Portias Frage? Vielleicht, um zu fragen: Wer ist hier wirklich der „Jude“, also der Bösewicht? Das wäre Shakespeare zuzutrauen. Selbst wenn er einen Klischeejuden ins Stück schreibt – er ist immer dafür gut, am Ende auch wieder alle Klischees zu brechen. |
Die Royal Shakespeare Company hat eine interessante Besetzungsentscheidung getroffen. Shylock wird von einem Palästinenser gespielt! Makram Khouri. (In der Fernsehserie „West Wing“ hat er in – natürlich fiktiven – Friedensverhandlungen den Palästinenserpräsidenten gespielt.) Geboren am 30. Mai 1945 in Jerusalem. 1948 mit seinen Eltern in den Libanon geflohen. Ein Jahr später aber zurück gekommen und in Akko aufgewachsen. Er war 1987 der erste Araber, der jemals den Israel-Preis bekommen hat. Das ist eine Art Nationalpreis, der in vier Kategorien (Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Kultur und Kunst, Verdienste um die Nation) immer am Unabhängigkeitstag verliehen wird. | Schon mit Öffnung der Türen stand Antonio in der Mitte. Allein, traurig, ungeschützt. Nach und nach nahmen die anderen Schauspieler neben der Bühne Platz. Der Mann in der grauen Strickjacke ist Shylock - Makram Khouri. |
Überraschend fand ich auch, dass hier – nicht wie zum Beispiel in Göttingen und auch im Al-Pacino-Film – die zweite Handlung benutzt wird, um Leichtigkeit und Freude ins Geschehen zu bringen. Es gibt Diskussionen, ob das Stück bei Shakespeare zu den Komödien oder den Tragödien gerechnet werden soll. Heute Abend, das war eine Tragödie. Die letzte Szene, da ist Shylock von der Bildfläche verschwunden. Da sind die Paare unter sich – Portia und Bassanio, Nerissa und Graciano. Beide Frauen hatten ihren Männern einen Ring anvertraut und sich das Versprechen geben lassen, dass die Männer sich um keinen Preis der Welt von diesem Unterpfand ihrer Liebe trennen werden. Als Männer verkleidet war es den Frauen in Venedig aber ein Kinderspiel gewesen, den beiden den Ring abzunehmen. Und nun kommen sie an und fragen ganz unschuldig: „Wo ist denn der Ring?“ Und die Männer winden sich in Erklärungsnöten… Normalerweise wird das als lustvolles Spiel zwischen Männern und Frauen inszeniert – mit vielen Lachern.
Die Kugel ist ein Pendel. Portia stößt es in ihrer ersten Szene an und dann pendelt es die ganze Zeit langsam hin und her. Klar, wenn Bassanio nicht hätte Portia gewinnen wollen, dann hätte er Antonio nicht um Geld angehen müssen, dann hätte Antonio nicht zu Shylock gehen müssen - sie hat alles angestoßen... | Das war heute Abend anders. Und das hatte seinen Anfang schon im Prozess genommen. Shylock hat bekommen, was er verdient, keine Frage. Aber als er am Boden liegt und verloren hat, da wird noch mehrmals nachgetreten. Solange, bis er vollkommen vernichtet ist. Kaum ein Charakter bei Shakespeare wird so gedemütigt. Und heute Abend wurde das genüsslich ausgespielt. Dabei wurde überdeutlich: Die Christen sind keine Spur besser. Shylock ist unbarmherzig. Aber auf einen am Boden liegenden Mann noch einzutreten, ist erst Recht gnadenlos. – Und dadurch waren die Beziehungen der Liebenden von da an vergiftet. Und das Spiel mit den Ringen hatte einen bitteren Beigeschmack. Nicht mehr viel übrig von der Frische junger Liebe. |
Es war eine kraftvolle Inszenierung, die zu Recht rasenden Applaus bekommen hat. Und noch nie habe ich Menschen aus dem Theater gehen sehen und so leidenschaftlich über ein Stück diskutieren hören. Klar, manchmal hört man im Rausgehen Satzschnipsel von klugsch…rischen Menschen, die glauben, etwas Druckreifes von sich geben zu müssen. Die Atmosphäre war heute anders. Die Leute sind in angeregte, intensive Gespräche vertieft aus dem Theater gegangen. Stark. | Das war das Schlussbild - unzählige Stumpenkerzen auf dem Boden... (Natürlich habe ich nicht während der Vorstellung fotografiert, sondern vorher und hinterher.) |