Croome ist landschaftlich wunderschön gelegen. Aber schöne Landschaft kriegt man in dieser Gegend auch kostenlos zur Genüge. | Freitag ist der freie Tag des Pfarrers von Evesham. Deshalb passiert da in der Gemeinde meist nicht viel und auch ich hab einen Tag zu meiner Verfügung. So bin ich nochmal ins Land gefahren in ein Haus, dessen Beschreibung im Internet interessant klang. Das stellte sich als eine nicht ganz so gute Idee heraus. Freundlich betrachtet habe ich vorgeführt bekommen, dass das Gegenteil von „gut“ eben nicht „schlecht“ ist, sondern „gut gemeint“. Croome ist ein Haus, das, wie ich gelernt habe, erst seit 2007 in Besitz des National Trust ist. (Das ist eine von zwei großen Stiftungen, denen verarmte Landhausbesitzer ihr Haus vermachen können, wenn sie es selber nicht mehr betreiben können und wollen.) |
Croome ist allerdings vollkommen runtergewirtschaftet und wird gerade von Keller zu Dachboden saniert. Man besichtigt eine Baustelle. Es ist einsichtig, dass man das Haus nicht schließen kann, weil man das Geld braucht, um die Sanierung zu finanzieren. Also bemüht man sich um eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses und zu den Sanierungsplanungen. Das ist aber alles so stümperhaft gemacht, dass man sich für sein Geld doch ein bisschen übers Ohr gehauen vorkommt. Gut gemeint, aber schlecht gemacht. |
Am Eingang stand einer der vielen Ehrenamtlichen, die immer in National-Trust-Häusern für die Touristen da sind und hat mir den Rundgang erklärt. Und dann mit "Das-ist-ein-Geheimtip-Stimme" hinzugefügt: "Beachten Sie vor allem die Stühle! Späte IKEA-Periode." Wenn mich der Rest nicht so enttäuscht hätte, hätte ich das witzig gefunden. | Das Haus hat ein bisschen mitgemacht im letzten Jahrhundert. Im 2. Weltkrieg war es beschlagnahmt worden, um die königliche Familie aufzunehmen, falls die Buckingham Palace verlassen müssen oder wollen. Wie wir alle wissen, blieben Königs auch während der Bombenangriffe demonstrativ in London. Schließlich hat Croome dann doch noch königliche Bewohner gehabt, die der Niederlande, die ins Exil gegangen waren. Außerdem war es im Krieg eine Luftwaffenbasis. Dazu gibt es auch ein Museum, das mich nicht interessiert hat. Nach dem Krieg war die Familie endgültig pleite und hat verkauft. Im Haus war unter anderem eine katholische Jungenschule und anschließend bis 1984 die Hare-Krishna-Sekte. |
Abends war ich noch einmal in Stratford-upon-Avon. Bei meinem letzten Besuch vorgestern hatte ich Zeit und hab einen Spaziergang am Fluss gemacht. Dabei habe ich entdeckt, dass das Restaurant „Lazy Cow“ (Zur faulen Kuh), an dem ich auf dem Weg zum Theater immer vorbei gekommen bin, auch ein „Attic Theatre“ hat (ein „Dachbodentheater“). Dort wird zurzeit TCWOWSA gespielt, auf Deutsch DgWvWSG: The Complete Works of William Shakespeare (abridged) – Die gesamten Werke von William Shakespeare (gekürzt). Das Stück kommt aus Amerika und ist von den Erfindern gespielt auch auf YouTube zu sehen. Ich habe es schon zweimal auf der Bühne gesehen – einmal mit meinem (jetzt in Dublin wohnenden) Patenkind Friederike auf der Vagantenbühne in Berlin und einmal mit Anne auf dem Theaterkahn in Dresden. Also wusste ich, was kommen wird. Drei Schauspieler. Alle Werke Shakespeares in 97 Minuten. Und vor allem großer Klamauk. Kluger Klamauk. |
Das „Dachboden-Theater“ stellte sich als ein sehr, sehr kleines Theater unter dem Dach heraus. Vielleicht 60 Plätze, von denen die Hälfte verkauft waren. Da ich das Stück kannte, hatte ich ein bisschen Sorge, weil es nur mit Publikum wirklich funktioniert. Das war unbegründet. Es war klein, aber fein, das Publikum. |
Nach einer Stunde furiosem Spiel durch den ganzen Shakespeare gehen sie die Liste durch. Alle Stücke abgehakt. Romeo und Julia ganz ausführlich. Die Komödien alle zu einer zusammengefasst. Ist ja eh immer wieder dasselbe. Die Königsdramen als Rugbyspiel, mit der Krone als Ball… Alles durch. „Ja, wir können die Zuschauer nach Hause schicken.“ Bis einer merkt: Mist. Ein Stück fehlt noch. Hamlet. Ausgerechnet.
Da ist dann erst mal Pause. Danach also Hamlet. „Sein oder nicht sein“ wird so gespielt, dass man nur drüber lachen muss – und der Schauspieler ist eingeschnappt, dass man ihn nicht ernst nimmt. Ein anderer meint, der Monolog sei ohnehin überbewertet, man könne ihn auch weglassen. Zusammen mit dem anderen Monolog… Und dann zitiert er „Welch ein Meisterwerk ist der Mensch!“ (“What a piece of work is a man..“) – und spricht den ganzen Monolog! Und zwar so, dass keiner lacht, sondern alle ganz ergriffen sind – nur um dann zu sagen: „Den können wir auch weglassen.“
Und dann Ophelia. Die berühmte Szene, wo Hamlet sie verstößt und ihr grob sagt, sie solle am besten in ein Kloster gehen: „Get thee to a nunnery!“ Da wird eine Ophelia aus dem Publikum nach vorne geholt. Und was denkt ihr, wer heute Abend auf der Bühne die Ophelia war? Zum Glück wusste ich was kommt, so war es ein großer Spaß. Hamlet sagt: „Get thee to a nunnery!“ Und ich durfte einmal laut schreien. Da haben sie gesagt, schon ganz schön so, aber es braucht doch noch ein wenig mehr Tiefe. Und nun wurde das ganze Publikum eingespannt, in einer Art Psychodrama die Innenwelt der Ophelia darzustellen – aufgeteilt in Ich, Unterbewusstsein und Über-Ich. Das Ich, ein „Ego auf der Flucht“, wurde von einem Mann gespielt, der auf der Bühne auf und ab rennen muss. Eine Gruppe hatte das schwankende Unterbewusstsein zu spielen und mit den Händen über dem Kopf zu wedeln. Und das Über-Ich bestand aus drei Gruppen, die die verschiedenen Stimmen in Ophelias Kopf in den Raum zu rufen hatten. Das ergibt dann ein ziemliches Spektakel. Dann rief einer der Schauspieler ein lautes „Stoooooppp!“ – und ich durfte noch mal schreien. Hab ich auch gemacht. Ich wusste gar nicht, dass ich so laut kann. Auch wenn das alles Spaß ist – es wirkt, so angefeuert zu werden.
Schließlich durfte ich mich wieder setzen und Hamlet wurde mit bekanntem Ergebnis (alle sind tot) zu Ende gespielt. Aber es ist noch Zeit. Also wird als Zugabe „Hamlet in einer Minute“ gespielt. Dann „Hamlet in 30 Sekunden“. Und zum Schluss: „Hamlet rückwärts“! Das beginnt dann mit den Worten: „Schweigen ist Rest Der.“ Ein großer Spaß, das alles!