Ich habe heute keine einzige Karfreitags-Predigt gehört, stattdessen dreimal die Geschichte betrachtet. Und das ist womöglich gar nicht das Schlechteste. Wir müssen vielleicht eh mehr erzählen und weniger predigen. Vormittag fand der traditionelle Kreuzweg in der Kirche statt. Dann der „Zeugnis-Gang“ durch die Stadt. Und abends war ich in Coventry und habe Bach gehört. 20% Karfreitags-Rabatt. Kein makabrer Scherz, sondern das ernsthafte Angebot eines Klamottenladens. Wenn wir denken, der Osten Deutschlands sei entkirchlicht... |
Seine Bilder haben eine unglaubliche Kraft. Ganz am Anfang wäscht Pilatus seine Hände in Unschuld, ganz sprichwörtlich. Was mich aber angerührt hat war neben ihm der Hohepriester. Eine durchaus freundliche Gestalt. Und er hält sich ängstlich an seine Schriftrolle geklammert. Er fürchtet, alles zu verlieren, wenn er von ihr lässt. Er fürchtet wahrscheinlich sogar, sich selbst zu verlieren. Aber - der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, hat Paulus gesagt.
Auf einem anderen Bild bricht Jesus unter dem Kreuz zusammen. Über dem Kreuzesbalken sieht man Gesichter von ganz vielen Menschen. Jesus wird zu einer Art Atlas, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Auf einem anderen ist er wieder gestürzt. Aber er ist ganz allein. An den Boden gedrückt, fast eins mit der Erde. Und drei Viertel des Bildes sind Himmel mit einer stechenden Sonne. Da liegt ihm auch noch die Last des Himmels auf den Schultern. Ich weiß nicht, seit wann Andrew diese Bilder verwendet. Ich hatte das Gefühl, man kann das zehn Jahre weiter so machen und würde immer Neues entdecken. Nach dem Gottesdienst habe ich beobachtet, wie eine Frau zu einem der Bilder zurückgegangen ist. Es war das Bild, wo es um Mutter und Sohn ging, Maria und Jesus. Sie hat lange davor gestanden und dann das Bild ganz sachte berührt.
Walk of witness. Zeugnis-Gang. Eine alte Frau hat mir erzählt, das würde schon sehr lange so gemacht, so 40, 50 Jahre. (Muss ich mal Andrew fragen, ob das stimmt. Diese Sorte Erinnerungen sind mit Vorsicht zu genießen.) Etwa 120 Leute aller Konfessionen waren da. Wahrgenommen habe ich Anglikaner, Methodisten, Baptisten, Heilsarmee. Dann gibt es noch eine freie Freikirche hier (die eine beeindruckende Arbeit mit Obdachlosen betreibt). | Die Heilsarmee Eveshams |
Ob Katholiken da waren, weiß ich nicht, Theoretisch gehören sie zum Dachverband der „Churches Together in England“, einer ökumenischen Bewegung ähnlich unserer Konferenz der Christlichen Kirchen. Es war ein öffentlicher Kreuzweg, beginnend in der Fußgängerzone. Zum zweiten Mal schon haben sie dabei ein kleines Passionsspiel aufgeführt, also eine szenische Darstellung – beginnend mit dem Einzug in Jerusalem, über die Verurteilung auf dem Marktplatz bis zur Kreuzigung auf der Wiese, die früher mal Abtei war. |
Besonders beeindruckend ist das, weil Karfreitag ansonsten in diesem Land ein ganz normaler Geschäftstag ist. Es gibt also eine Menge Passanten, die sehr wohl mitkriegen, was hier passiert. Wenn man das in Eisenberg am Karfreitag machen würde, hätte man die Stadt für sich, weil die Bürgersteige hochgeklappt wären. Jesus vor Pilatus |
Heute war das Gerüst in der Kathedrale weg und der Christus hinter dem Altar wieder zu sehen. (siehe 22. März) | Ja und dann bin ich abends nach Coventry in die Kathedrale gefahren um die Johannes-Passion zu hören. Das war die mir vertrauteste Art, Karfreitag zu begehen. Obwohl… Am Anfang war ich schwer irritiert. Sie haben englisch gesungen! Geht gar nicht! Das Libretto der Passion (also die Arien und Choräle), das ist Poesie. Wenn man die übersetzt, kann man zwei Dinge machen: Man kann englische Poesie daraus dichten. Oder man kann so übersetzen, dass es zu den Noten passt. Beides zusammen geht nicht. Die Passion beginnt mit der Christusanrede: „Herr, unser Herrscher…“ English heißt das dann: „Hail! Lord and Master…“ Wenn ich mir das rück- übersetze… „Heil! Herr und Meister…“ – das klingt nach Richard Wagner, nicht nach Johann Sebastian Bach! Aber heutzutage ist ja Rettung immer nahe. Ich hab auf meinem smarten Phone den deutschen Text gegoogelt und ihn dann zur Musik mitgelesen. Da war alles gut. |