3) Ein verkleideter Soldat aus dem Mittelalter führt eine Schulklasse von Sechsjährigen. Er lässt sie erst mal im Kasernen-Tonfall antreten und ordentlich exerzieren. Die Lehrerinnen finden das süß. Als ich später an der Klasse vorbei komme, erklärt er ihnen gerade, dass in einer mittelalterlichen Schlacht 80% der Soldaten nicht überleben würden. Und teilt die Klasse in Tote und Überlebende ein, damit die sich das auch richtig vorstellen können. Und das alles in fröhlichem Tonfall, als wäre es ein großer Spaß oder mindestens ein spannendes Abenteuer. |
Ich geh erst mal rings durch den Park. Auf der anderen Seite der großen Burg ist die Mühle. Da wird’s interessant für mich. Ich lese, dass man die Mühle ab 1896 schon zur Stromerzeugung benutzt hat. Damals hat man die Burg mit elektrischem Licht ausgestattet. Bis dahin gab es stinkendes rauchendes Gaslicht. Vor 1900 schon elektrisches Licht zu haben ist beeindruckend zeitig. | Am Regulator stand dran "Made in Germany" |
In der Eingangshalle konnte man eine Umfrage machen, wie es einem gefallen hat soweit. Da hab ich meinem Ärger erst mal Luft gemacht. Auf die Frage, ob ich einen Besuch von Warwick Castle empfehlen würde, hab ich glatt mit „nein“ geantwortet. Dann bin ich ins Gewächshaus, das zum Café ausgebaut wurde – und zwar sehr hübsch. Ich bestelle einen „Cream Tea“ und werde gefragt, ob ich meinen Cream Tea mit Tea will? Ich bin für einen Moment verwirrt. Cream Tea besteht aus Tee und Scone (eine Art Milchbrötchen), auf das man Marmelade und eingedickte Schlagsahne schmiert (diese Sahne nennt man englisch „cream“). Und anscheinend kann man heutzutage den traditionellen Cream Tea auch mit Kaffee bekommen. |
Im Café hab ich noch mal nachgedacht und gefunden, wenn mich jemand fragt, ob ich Warwick Castle empfehlen kann, müsste ich sagen: Kommt drauf an, was man erwartet. Wenn man einen Family Fun Park erwartet, ist das hier sicher besser, als manches, was in Plastik irgendwohin gebaut wird. Wenn man eine alte Burg besuchen will, weil man sich für deren Geschichte interessiert, sollte man sich eine andere Burg suchen. Kenilworth zum Beispiel. | Auf diesem - künstlich aufgeschütteten - Hügel hat die erste, hölzerne Burg gestanden. Erbaut von Wilhelm, dem Eroberer 1068. |
In diesem Turm hat 1469 während der Rosenkriege Richard Neville, Graf von Warwick, den König Edward IV. festgehalten, weil ihm nicht gepaßt hat, welche Frau Edward geheiratet hat. Am Ende mußte er den König wieder freilassen. | Schließlich gab es eine Führung, die „die ganze Geschichte von Warwick Castle“ in 40 Minuten versprach. Das allerdings war interessant und richtig gut. Der junge Mann hat wirklich lustig und spannend die Geschichte Englands und dieser Burg erzählt. Bis 1485 war Warwick Castle ein Zentrum der Macht – immer nah am König dran. Richard III., einer der Besitzer, war sogar selbst König für zwei Jahre. Dann sagt unser Führer: „Danach kam das erstaunliche Zeitalter der Tudors, eines der großartigsten Perioden englischer Geschichte. Darüber werde ich – nichts erzählen. Denn Tudor-Geschichte hat sich hier nicht abgespielt. Obwohl die Burg die ganze Zeit der Krone gehört hat, waren die Royals in dieser Zeit nie hier. Einzig Elisabeth war einmal zu Besuch. Ihr zu Ehren wurde ein Feuerwerk von den Türmen abgefeuert, das die halbe Stadt abbrannte. Danach kam sie nicht wieder.“ |
James I. dann, König aus Schottland, musste sich, als er König in England wurde, beliebt machen und hat die Burg verschenkt. Dadurch kam sie in eine Familie, die bis ins 20. Jahrhundert die Burg besaß und bis heute den Titel "Graf von Warwick" führt. (Nur dass die Familie heute in Australien wohnt und Kohleminen besitzt. „Aber sie werden den Titel führen, solange ihnen die Söhne nicht ausgehen.“) Und da hat sich auch einiges erklärt. Diese Familie hat vor 200 Jahren angefangen, die Burg zu einer Attraktion zu machen. 1816 wurde das erste Ticket-Häuschen gebaut! Vor beinahe 200 Jahren. Lange Geschichte des Entertainments also. Und ab dem 20. Jahrhundert wurde die Burg vor allem für einen Zweck benutzt: Partys zu feiern. Die Beatles waren hier. Mick Jagger soll sich einen Trinkwettbewerb mit dem Hausherren geliefert - und verloren - haben. |
Schon beim ersten Durchgehen kam mir alles wie Madam Tussauds vor. Kein Wunder. | Das alles hat Geld gekostet. Das musste durch zahlende Touristen reinkommen. Die kamen aber irgendwann nicht mehr, weil die Besitzer über allem Feiern die Burg haben verfallen lassen. 1974 schließlich haben sie verkauft – an Madam Tussauds, das Wachsfigurenkabinett. Die sind 2007 Pleite gegangen. Heute gehört die Burg einem Unternehmen, das heißt Merlin Entertainments Group. Nun wundert mich gar nichts mehr. Das wirkt nicht nur wie ein Family Fun Park, das ist einer! Merlin Entertainments Group besitzt laut Wiki „105 Attraktionen, 11 Hotels und 3 Feriendörfer in 23 Ländern” – darunter Lego Land. |
Und dann hat Großbritannien heute gewählt. Während ich schreibe, läuft auf meinem Computer nebenher die BBC Live Berichterstattung. Ein bisschen habe ich mit Helen zusammen geguckt, aber sie hat mittlerweile umgeschaltet. Denn noch ist nicht wirklich klar, wie es ausgegangen ist. Und wenn nichts zu berichten ist, was machen Fernsehsender dann? Talk, talk, talk…
Für mich ist das natürlich eher spannend, denn: Andere Länder andere Rituale. Wo bei uns 18.00 Uhr Herr Schönenborn eigentlich schon das Ergebnis bekannt gibt (nur in seltenen Fällen, wie 2005, erklärt, dass es ein enges Rennen wird), ist das hier anders. Es gibt Hochrechnungen. Aber bevor nicht Stimmen ausgezählt sind, übertreffen sich die Politiker gegenseitig in Erklärungen, dass die Hochrechnungen bestimmt falsch sind. (Einer hat sogar versprochen, seinen Hut zu essen, wenn sie richtig sind. Er habe keinen Hut, er würde sich extra einen dafür kaufen, sagte er.)
Die Stimmen werden nicht in den Wahllokalen ausgezählt. Sondern alle Urnen eines Wahlkreises werden in eine große Turnhalle oder ähnliches geholt und dort zentral ausgezählt. Die Kandidaten dieses Wahlkreises sind dort anwesend und stehen alle auf einem Podest, wenn das Ergebnis bekannt gegeben wird. Der oder die Sieger/in nimmt das Ergebnis ungerührt zur Kenntnis. Dann darf er oder sie eine kurze Siegesansprache halten. Sehr anders als bei uns, wo sie parteiweise getrennt in Lokalen vor den Bildschirmen sitzen, jubeln oder entsetzt gucken und die Spitzenkandidaten sich erst blicken lassen, wenn alles klar ist.
Es gibt ein Wettrennen, wer zuerst die Ergebnisse hat. Dafür werden das Einsammeln der Urnen und das Zählen mit fiktiven Wahlzetteln geprobt. Und in den letzten fünf Jahren hat Sunderland in der Nähe von Newcastle im Norden das Rennen gemacht. So auch heute. Drei Wahlkreise sind bisher (um 0.10 Uhr) ausgezählt, alle drei aus Sunderland, alle drei für Labour. Und so wird das die Nacht über weiter gehen. Und die BBC berichtet und berichtet und berichtet – obwohl es nichts zu berichten gibt. Denn es gibt ja keine Verhältniswahlen. Also dass Parteien Sitze aufgrund der Prozente bekommen, die sie erreicht haben. Es gibt nur Direktkandidaten, die ihren Wahlkreis gewinnen oder nicht. Also muss man warten, bis alle Wahlkreise ausgezählt sind. In Deutschland können sie aufgrund der hereinkommenden Ergebnisse die Hochrechnungen immer mehr präzisieren, so dass man irgendwann ins Bett gehen kann, weil man weiß, wie es ausgegangen ist und die Elephantenrunde das auch bestätigt hat. (Zumal die Wahllokale ja 18.00 Uhr schließen und nicht erst 22.00 Uhr) Jetzt ist es 0.46 Uhr und es sind vier Sitze vergeben – drei Labour und ein Tory.
Ein Lustiges Detail: Immer mal werden Bilder von den Hallen eingeblendet, wo die vielen Helfer zählen – und die sitzen da wirklich in Warnwesten! Was für eine Unfallgefahr gibt es denn beim Stimmen auszählen? Ich sag doch, die Briten lieben diese Dinger.
Mittlerweile ist es 2:12 Uhr. Das Ergebnis ist bisher 9 Labour, 4 Konservative, 3 DUP (Protestantische nordirische Partei) und 1 Sinn Fein (nordirisch-katholisch, die traditionell sich wählen lassen, aber nie in London auftauchen, da sie Westminster nicht als ihre Regierung ansehen, sondern Dublin). Bei allen Ergebnissen in England zeigt sich, dass Ukip auf solide 15 bis 20% kommt. Schottland wird von der SNP erobert werden. Die Liberalen verlieren dramatisch. Labour verliert. Die Torys werden stärkste Partei, aber ohne absolute Mehrheit. Und ein gewisser Lord muss sich einen Hut zum Essen kaufen, da die BBC ziemlich gut lagen in ihrer Voraussage. Aber das Zählen wird die nächsten vier bis fünf Stunden weiter gehen. Ohne mich. Ich geh ins Bett. |