BBC National Orchestra of Wales. Das Ende des Notenschlüssels ist die Schwanzspitze des walisischen Drachen. Geniales Logo. Das BBC National Orchestra of Wales ist, wie es der Name sagt, Nationalorchester und Rundfunktorchester zugleich. Es hat seinen Sitz im Millennium Centre in Cardiff, spielt Konzerte im ganzen Land und nimmt genauso Soundtracks für BBC-Filme auf. Darunter die Filmmusik für alle Doctor-Who-Folgen. | Müde. Text folgt morgen... 12 Stunden später... Den Boléro von Ravel, den kennt man doch, oder? Ein einziges großen Crescendo – vierzehn bis zwanzig Minuten lang – je nachdem, wie das Tempo gesetzt wird. Als Ballettmusik geschrieben. Ich hab ihn auch schon zweimal getanzt gesehen. Einmal im Leipziger Opernhaus. Da waren wir als Schulklasse 1978. Das war sehr schön. Da kam erst ein Tänzer auf die Bühne, dann zwei, dann vier und so weiter. Zum Schluss tanzte die ganze Kompanie. Ich erinnere mich, einer der Tänzer hatte vergessen, seinen Stiefel zuzumachen. Und er hat tapfer mit offenem Schuh durchgetanzt, der Arme. Erst bei Verbeugen war sein Schuh zu; offensichtlich hatte er hinter der Bühne den Reißverschluss endlich schließen können. Und das zweite Mal, das war in der Semperoper in Dresden 1991, das war weniger schön. Aber nur deshalb, weil man sich eine komplizierte Bühnentechnik dazu ausgedacht hatte – die nicht funktionierte. Die Tänzer waren auf verschiedenen Hebebühnen, die ein- und ausgefahren wurden. Nette Idee, solange es klappt. Es war der letzte Teil des Abends und als wir nach der Pause erwartungsvoll in den Saal zurückkamen, sagte man uns, sie müssten erst die Technik reparieren. Geschlagene 45 Minuten haben sie dafür gebraucht! Da ist der Effekt, als dann endlich (eine viertel Stunde lang) getanzt wurde, etwas verpufft (zumal ich noch eine vollkommen übermüdete 11jährige Tochter dabei hatte). |
Oben das ist mein Foto vom Abend. Unten ein Szenenbild; der Herr im braunen Mantel ist der 10. Doktor. Die Tür links, das ist ein und dieselbe! | Nur wegen diesen zwanzig Minuten bin ich allerdings nicht einhundert Meilen gefahren. Es war eine Kombination. In Swansea in Südwales steht die Brangwyn Hall. Man kennt, wenn man es kennt, Brangwyn Hall als das Innere der Bibliothek, in die der Doctor seine Reisegefährtin Donna Noble ausführt. Aber man kann sich das Innere dort nur anschauen, wenn darin ein Ereignis stattfindet. Letzten Sommer während meines Urlaubs in Wales war es ein Bier- und Cider-Festival. Also, so gerne ich Bier und Cider trinke – ein ganzes Festival dieser Art ist nicht mein Ding. Ein Konzert, wie das vom BBC National Orchestra of Wales, ist da schon was anderes. Also – nicht lange vor meinem Abflug von dieser schönen Insel hier, dachte ich, was soll’s. 100 Meilen sind zwei Stunden Fahrt, das geht doch. |
Ich hab in Cardiff Station gemacht, das lag auf dem Weg. Dabei habe ich mal in das Pier Head-Gebäude reingeschaut. Das ist das Haus, das aussieht wie das Rote Rathaus in Berlin. Pier Head bedeutet, es war das Haus des Hafenmeisters, als da noch ein geschäftiger Hafen war. Im Haus wird ein kleiner Film über die Geschichte gezeigt. |
Das obligatorische Selfie in der Spiegelsäule - heute wieder mit Wasser | Dabei lernt man doch immer wieder Neues. Dass Südwales Steinkohle-Abbaugebiet war, das wusste ich. So kann man sich denken, dass vom Hafen aus viele Schiffe die Kohle exportierten. Aber dass der arme Zweit-Entdecker des Südpols, Robert Scott, von diesem Hafen aufgebrochen ist, das habe ich nicht gewusst. Bekanntlich ist er ja nie wieder zurückgekehrt, sondern auf dem Rückweg vom Pol, wo schon die norwegische Flagge Amundsens gestanden hatte, erschöpft gestorben. |
Im 2. Weltkrieg diente das auffällige rote Gebäude an der Wasserkante deutschen Bombern als Zielhilfe, um Cardiff zu bombardieren. An der Llandaff Kathedrale (siehe 22. Februar) sind bis heute Spuren der Schäden zu sehen. In den 70er Jahren war Schluss mit den Geschäften – wie überall in europäischen Kohle- und Stahlgebieten. Anfang der 90er Jahre war die Cardiff Bay eine Industrie-Brache, bevor man sie als Sitz des Regional-Parlamentes, genannt Senedd, und als kulturelle und touristische Attraktion wunderschön hergerichtet hat. | Es war kühler und ein Wochentag, also eher verhaltener Betrieb in Cardiff Bay |
Und dann also weiter zu Brangwyn Hall in Swansea. Ich war sehr zeitig da und konnte ein bisschen herumstöbern. Das Haus ist interessant – ein 30er Jahre-Bau mit Jugendstilelementen. Die Halle selbst ist benannt nach dem Künstler Frank Brangwyn, der die Wandgemälde gemalt hat. Sie sollen die Wunder des Britischen Empires darstellen. Eigentlich waren sie vom Parlament in Westminster bestellt und sollten das Oberhaus zieren. Aber schon vor der Fertigstellung hat man sie abgelehnt. Man befand, das war ein zu farbenfrohes und lebendiges Empire, nicht staatstragend genug. Also kamen die Bilder in die Konzerthalle. |
Dirigiert wurde das Konzert von Xian Zhang. Das klingt und ist chinesisch. Dahinter verbarg sich eine kleine unauffällige Frau. Jahrgang 1973, wie ich in Wiki nachgeschlagen habe. Geboren in Nordchina, seit ihrem 25. Lebensjahr in den USA lebend. Sie war, so steht in Wiki, 2008 die erste Frau, der man jemals erlaubt hat, die Dresdner Staatskapelle zu dirigieren. (Das spricht so klar für sie wie es peinlich für die Staatskapelle ist, dass man so lange dafür gebraucht hat.) | Das Empire der 20er Jahre in den Augen von Frank Brangwyn |
Neben diesen Enten wollten die Lords von Westminster nicht regieren | Sie war richtig gut. Kam ganz harmlos auf die Bühne und erwachte mit dem ersten Ton zum Leben. Bei sanften Stellen hat sie ihre Hände bewegt wie eine Ballerina oder wie Schmetterlinge. Wenn es furios wurde, hüpfte sie auf dem Postest herum wie Rumpelstilzchen. Und als es zu Ende war, fiel die der Violin-Solistin in die Arme. Und so wie sie dirigiert hat, so hat das Orchester auch gespielt, zart und furios und leidenschaftlich. |
Nach der Pause haben wir Camille Saint-Saëns gehört, Symphony nr. 3, die sogenannte Orgelsymphonie. Im Gegensatz zu dem Violinkonzert zuvor ist das kein Stück, wo eine Orgel mit dem Orchester kommunizieren würde. Die Orgel ist nicht als Soloinstrument geschrieben, sondern als eins von vielen. Das erscheint ein wenig verschwenderisch, eine ganze große Orgel nicht anders einzusetzen als, sagen wir, eine kleine Oboe. Am Anfang hat der Organist auch gar nichts zu tun, bis er schließlich mit ein paar Akkorden eine neue Farbe ins Geschehen bringen durfte und erst ganz zum Schluss mit gewaltigem Register das Finale untermalt hat. (Wunderschöne Musik natürlich, das alles.) Und tatsächlich, die Veranstalter dachten sich vielleicht auch, dass der eingeladene englische Orgel-Superstar doch ein bisschen wenig für sein Geld getan hat. Und so gab es als Zugabe „die“ Toccata von Widor (googelt bei YouTube, dann wisst ihr) – arrangiert für Orgel und Orchester. Da hat er dann ein wenig mehr zu tun bekommen.
In Großbritannien gibt es (aus Frankreich importiert) die „Universität des dritten Alters“, University of the Third Age, abgekürzt U3A. (Ich finde ja, dass das in der deutschen Übersetzung sehr nach dritten Zähnen klingt.) Die D3A ist ein bisschen wie Volkshochschule, aber nicht ganz. Es funktioniert auf Mitgliedschaftsbasis. Mitglied kann man werden, wenn man 55 ist. Veranstaltungen finden nicht in öffentlichen Räumen statt, sondern man lädt sich gegenseitig in seine Wohnungen. Man kann natürlich Mitglied sein und „nur“ konsumieren. Aber, wenn man irgendwelche Kompetenzen hat, dann kann man sie auf diese Art an andere weitergeben. Das ist die Idee, die dahinter steckt: In alten Menschen steckt so viel an Wissen, das muss doch genutzt werden! Und was Sophie kann, ist Deutsch. Also hat sie zweimal im Monat den ganzen Tag die Bude voll. Früh kommen die Anfänger. Nach zwei Stunden beginnen sich in einem anderen Raum ihres Hauses schon die Fortgeschrittenen zu versammeln, und nach einer Stunde Mittagspause kommen die, mit denen sie sich fließend unterhalten kann. Außerdem gibt sie regelmäßig Nachhilfe in der anglikanischen Prince-Henry-Oberschule. Und sie ist immer dran interessiert, selber Neues zu lernen und neue Menschen zu treffen. Sophie erzählt mir, dass sie erst mit neun Jahren zur Schule gehen konnte (und vermutlich mit 14 aus der Schule gekommen ist). Sie hat viel Nachholbedarf und ist gewillt, keine Minute zu verschwenden. Außerdem entdeckt sie nach vielen Jahren, in denen das Leben einfach vorwärts gehen musste und nicht viel Zeit zum Nachdenken war, ihre deutsche und schlesische Identität aufs Neue. Im August kommt sie nach Deutschland mit einer Gruppe ihrer Schüler. Sie wollen Torgau, Weimar, Wittenberg und Erfurt besuchen, Gegenden, die sie selber noch nicht kennt. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich sie in Weimar treffen.