Zu meiner Entschuldigung kann ich nur sagen: Erstens hatte ich damals nur zwei Stunden Zeit hier, zweitens hatte es geregnet und drittens war ich zuvor am Meer gewesen. Das ist immer ungünstig; gegen liebliche Landschaft kann eine Großstadt erst mal nur verlieren. Das einzige, was ich von damals in Erinnerung habe, ist die Außenmauer des Castles mit dem auffallenden Turm. |
Heute war ich nun drin im Castle. Und es ist gut, dass ich mir die Zeit gelassen habe. Wie Gerhard Begrich immer so schön sagt: „Man sieht nur, was man gesagt bekommt.“ Wenn man etwas weiß, dann sieht man mehr als ein paar alte Steine. Innen bietet das Castle einen überraschenden Eindruck: Eine große Wiese und mittendrin ein kleines Bürglein. Der Hügel, auf dem die Burg steht, ist künstlich und heißt „Motte“. Das ist eine typische Bauweise der Normannen. Die haben nach 1066 ihre Burgen ins Land gebaut, um den Walisern zu zeigen, wer jetzt hier Herr im Haus ist. |
Als ich im Sommer 2014 hier war, tagten hier die Staatsoberhäupter der NATO. Dafür war die gesamte Innenstadt im Ausnahmezustand. | Dass der Rest des Geländes so groß und frei ist, hat zwei Gründe. Zum einen war Cardiff Castle mal ein römisches Feldlager. Das brauchte Platz. Die Außenmauern des Lagers sind erst Mitte des 18. Jahrhunderts wieder entdeckt und aufgebaut worden. Zweitens hat die ganze Burg ihr jetziges Aussehen John Stuart, dem Marquess von Bute und seinen Nachkommen zu verdanken. Das waren, wie der Name sagt, Schotten. Aber John Stuart hat 1766 eine Frau geheiratet, durch die er in den Besitz von Cardiff Castle gekommen ist. |
Und es wurde ein quasi-mittelalterliches Herrenhaus gebaut. Ich finde solche Gebäude immer seltsam und ein bisschen lächerlich. Als wenn die erwachsene Menschen Kinderträume erfüllen und einen auf Ritter machen. Als diese Wand gestaltet wurde, gab es keine Ritter mehr und keine Schwertkämpfe. Sondern Königin Victoria regierte in einem blühenden Industriestaat. |
Am Nachmittag habe ich dann eine Führung durch den Senedd, die Walisische Nationalversammlung gemacht. Früher hat man in Deutschland gesagt: „Bonn hat beschlossen…“ – und gemeint: Die Bundesregierung oder der Bundestag hat beschlossen. In Großbritannien kann man genauso reden. Man sagt: „Westminster“ (und meint Regierung und Parlament in London), „Holyrood“ (Edinburgh), „Stormont“ (Belfast) – oder eben „Cardiff Bay“. Die drei anderen Parlamentsgebäude habe ich schon besichtigt. |
Jetzt also die Walisische Nationalversammlung, deren Gebäude sich seit 2006 direkt neben dem Millennium Centre befindet, wo ich gestern in der Oper war. Das Gebäude ist ganz bewusst ein Glashaus. Auch innen sind alle Wände, die es statisch vertragen, aus Glas. Man soll den 60 Abgeordneten beim Regieren zugucken können. (Natürlich haben sie in einem Nebengebäude auch noch ihre Büros. Dort können sie dann ganz in Ruhe in er Nase bohren.) | Die "Kammer", das heißt der eigentliche Tagungsraum, befindet sich eine Etage tiefer - direkt unter dem "Stiel" der Holzkonstruktion, die wie ein Pilz aussieht. |
Dazu hat der Senedd ein lang gestrecktes Vordach. Der Schieferfußboden reicht bewusst von draußen nach drinnen und umgekehrt. So ist vor dem Gebäude ein überdachter Platz entstanden, der fast so groß ist, wie das Haus. Öffentliche Angelegenheiten sollen öffentlich verhandelt werden. Hier fand Anfang Januar die Versammlung zur Solidarität mit den Opfern der französischen Anschläge statt – ich hab davon am 11. Januar erzählt. |
Das ist heute anders. Seit 1999 gibt es eine Nationalversammlung, die mehr und mehr Rechte erhält, regionale Angelegenheit selber zu regeln. Diese Entwicklung begann 1881, als zum ersten Mal in London ein Gesetz beschlossen wurde, das nur für Wales gilt. Interessanterweise war es das Verbot, Pubs am Sonntag zu öffnen. Das wurde den Walisern nicht etwa aufgedrückt, das haben sie selber so gewollt. Naja, nicht alle. Es war unter anderem die Widerspiegelung einer erstarkten Frauenbewegung. Die wollten, dass ihre Männer wenigstens am Sonntag mal nüchtern bleiben. Irgendwann muss man allerdings dieses Gesetz wieder zurück genommen haben. Dafür gibt es eine Website in der benachbarten englischen Grafschaft Herefordshire, die dafür wirbt, sich Wales anzuschließen, weil dort das Landwirtschaftsministerium viel effektiver arbeiten würde, als das von London. | Rechts die Stufen des Senedd, in der Mitte das Millennium-Centre. Das Gebäude links, das aussieht wie das Rote Rathaus in Berlin, ist das victorianische Pierhead-Gebäude. Heute gehört es zum Senedd. Früher war es der Sitz des Hafenmeisters. Anfang der 90er Jahre war das alles verfallenes Brachland in einem Hafen, den es nicht mehr gab. Heute ist es ein lebendiges Viertel - mit Parlament, Kultur und Restaurants. In meinem Rücken, 400 m entfernt, ist das Doctor-Who-Museum. |