Nun also umgekehrt: „Robing“. Robing hieße auf Deutsch sehr banal: „sich seinen Talar anziehen“. Etwas feierlicher könnte man es „gewanden“ nennen – wenn es dieses Verb im Deutschen gäbe.
Beim „Gewanden“ sagte Andrew (weil sie doch „nur“ Rock und Chorhemd anhatten): „Wir sehen doch richtig protestantisch aus, findest du nicht? Da passt du gut rein.“ Ich sag: „Das denkst du nur. Ihr seht so was von katholisch aus.“ | Heute war in der Kathedrale zu Worcester ein großes Ereignis. Alle Ordinierten der Diözese kamen zu einem zur „Chrisam-Messe“ zusammen, einem Abendmahls-Gottesdienst, der jedes Jahr in der Karwoche gefeiert wird. In der Einladung hieß es, man solle „robed“, also im Talar kommen (da es in der anglikanischen Kirche eine Reihe klerikaler Kleidung gibt – siehe 7. Februar –, wurde auch noch genau beschrieben, welche „robes“ gefordert waren.) Ich war auch eingeladen, samt meiner lutherischen „Robe“. Und am Eingang wurde ich denn auch gefragt: „Do you robe?“ („Gewanden Sie sich?“) Als ich bejahte, wurde ich – mit Andrew – in den Kapitelsaal verwiesen, wo man sich gewandete, sich das überwarf, was Andrew seinen „Engelsanzug“ nennt. Also schwarzer Priesterrock und weißes Chorhemd drüber. |
Als schon vor einiger Zeit diese Einladung gekommen war, hatte ich gedacht, das wird bestimmt lustig. War es auch am Anfang, wie immer wenn erwachsene Menschen kostümierte Spiele spielen. Am Ende aber war es ein schöner und für mich bewegender Gottesdienst – mit oder ohne Roben. Eigentlich ist der am Gründonnerstag vorgesehen (in Deutschland wird das von der katholischen Kirche übrigens auch gefeiert). Aber Bischof John ist der anglikanische Bischof, der am Gründonnerstag Dienst bei der Queen hat. Da gibt sie, wie schon alle Könige und Königinnen vor ihr, Almosen an die Armen und da muss Bischof John assistieren. Also muss die Diözese Worcester am Montag kommen. | Schwarzrock unter weiß Gewandeten. |
Chrisam ist das Fremdwort für geweihtes Öl, das wird immer in der Karwoche geweiht. Mit dem Öl werden dann das kommende Jahr Kranke und Täuflinge gesalbt, sowie Priester und Diakone ordiniert. Das Zentrum des Gottesdienstes aber war die Erneuerung des Ordinationsversprechens. Und das fand ich schön. In unserer Kirche legen sie dir einmal im Leben die Hand auf und fragen dich, ob es dir ernst ist. Und dann kannst du dein Dienstleben lang bis zur Rente vor dich hin wursteln. Alle 20 Jahre vielleicht lädt der Bischof dich mal ein, um der Ordination zu gedenken. Aber als ein Kollege neulich mal zu so einer Veranstaltung war, kam er sehr frustriert zurück: „Wir mussten die ganze Zeit arbeiten.“ Sie mussten also in Arbeitsgruppen über den eigenen Dienst nachdenken. Und dann habe es ein mickriges Buffet gegeben und die Bischöfin habe eine Ansprache gehalten, in der sie den Pfarrern eingeschärft hat, dass „die Gemeinden ihr Schatz seien“. Als wenn wir das nicht wüssten. Aber bei der Gelegenheit als Bischöfin mal sagen, dass die, die sich da täglich abrackern, auch ein Schatz sind, auf die Idee war sie nicht gekommen. |
Hier in der Kathedrale wurden die Pfarrer und Diakone nach vorne um den Altar gerufen und dann vom Bischof gefragt, ob es ihnen immer noch ernst ist mit ihrem Ordinationsversprechen – und sie haben alle gesagt: Ja, mit Gottes Hilfe. (Dann wurde von einem Auserwählten auch der Bischof gefragt. Er hat auch ja gesagt.) Und auch wenn es nicht mein Bischof war, der gefragt hat – ich hab auch mit ja gesagt und es auch gemeint. Und dann wurde für uns gebetet – von einer vollen Kirche. | Man kann Bischof John schlecht erkennen, weil der Bischofsstab sein Gesicht verdeckt. |
Und dann haben wir Bill Bird besucht. Ich schreib ja sonst hier immer nur Vornamen. Aber Bill Bird, Wilhelm Vogel, das ist doch zu schön. Das ist der mit Beirut und Bayreuth (12. März). Bill stellt „bespoken shoes“ her. Das Wort musste ich erst mal nachschlagen. „Besprechen“ heißt ja (wenn man nicht die Sitzung meint, in der man Dinge bespricht), irgendwas Magisches. Warzen werden besprochen, damit sie weggehen und so was… Bespoken shoes sind aber schlicht ganz unmagisch maßgefertigte Schuhe, das ist einfach der Ausdruck dafür. |
Aber Bill hat dennoch etwas von einem Zauberer. Er hat mir gezeigt, wie seine Schuhe entstehen: Am Anfang wird der Leisten hergestellt. Auch wenn wir das Sprichwort haben (Schuster bleib bei deinem Leisten), wer weiß noch, was ein Leisten ist? Das ist eine Holzform deiner Füße. Bill macht ausschließlich orthopädische Schuhe. Er hat es also mit verformten Füßen zu tun – ob von Arthritis oder durch Unfälle. Und dann macht er für genau diese Füße Schuhe, die auch noch schön aussehen. Seine Werbebotschaft aus seiner Homepage heißt: „Schuhe tragen kann wieder ein Vergnügen werden, egal in welchem Zustand Ihre Füße sind!“ Die Anfertigung des Leisten kostet übrigens £600; das Paar Schuhe £1100 aufwärts. Die Herstellung dauert fünf Monate. Und wenn ich gesehen habe, wie viel Liebe er in jedes Detail legt, dann muss das auch so lange dauern – und so viel kosten. (In seinem Fach liegt er auch eher in der unteren Preisklasse!) | Andrews Sandalen sind "bespoken shoes". Hier ist er zur Zwischenanprobe für ein neues Paar (sein viertes). Rechts kniet Bill. Links eine Mitarbeiterin, Kirsty. Andrew sagt: In diesen Sandalen wohnt er. Sommers wie winters. |
Das Ganze findet statt in Baracken, die im 2. Weltkrieg für polnische Flüchtlinge gebaut wurden. Andrew sagt: Man sieht es diesen Hütten nicht an, was für ein Großer und Berühmter hier sein Handwerk treibt. Als die ersten britischen Soldaten verwundet aus Irak und Afghanistan zurückkamen, hat Bill den Zuschlag bekommen. Er darf für die Armee diesen Jungs Schuhe herstellen, mit denen sie wieder laufen können, wenn ihre Füße kaputtgeschossen werden. Und die Art, wie er das macht, therapiert, glaube ich, mehr als die Füße. |