Gestern hab ich mir nun aus der Bibliothek eines der Bücher geholt, die David zum Thema Pneumatologie empfohlen hat. Es wurde geschrieben von John Levison, einem Engländer, der in Amerika an einer Uni lehrt. Und der ist Gunkel-Fan und hat sein ganzes Buch um ihn herum geschrieben! Im Vorwort erklärt er, warum. Hermann Gunkel hat als junger Mann eine Dissertation im Neuen Testament geschrieben mit dem Titel: „Die Wirkungen der Heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus“. Diese Schrift ist ihm nicht gut bekommen. Als er sich auf Dozentenstellen bewerben wollte, bekam er die Antwort, er sei mittelmäßig und wenig begabt, man brauche seine Dienste nicht. Am Ende ist er – ohne zunächst richtig Hebräisch zu können – im Alten Testament untergekommen, erst einmal in Halle. In dem Fach hat er sich dann zu einem der führenden Theologen seiner Zeit gemausert. Und immer war er mit den Gedanken seiner Zeit voraus – so sehr, dass die Herren Kollegen nicht mitkamen und ihn für mittelmäßig und unbegabt erklärten.
Wenn ich es richtig verstanden habe, hat er ganz anders vom Geist Gottes geredet, als die alten Herrschaften seiner Tage. Die verstanden unter dem Geist etwas Großartiges, etwas Hehres, Vergeistigtes, das unser Bewusstsein und unser Gewissen in die Höhe trägt. Gunkel sagte: Nein. Der Geist wirbelt alles durcheinander. Der bricht von oben rein in unsere Realität und kehrt das Unterste zuoberst. Der kommt sozusagen von schief nach schräg. Na, das passte wirklich nicht in die braven Professorenstuben von 1888. Rückblickend hat Gunkel 1925 in einem Brief geschrieben: „Lange, lange Jahre habe ich vergeblich auf Verständnis und Kollegialität gewartet… Vielleicht war ich selber mit schuld an meiner Einsamkeit, weil ich mich in jugendlichem Überschwang zu unverhohlen gegen die Meinungen der Alten gestellt habe, obwohl ich die Auseinandersetzung nie ins Persönliche getragen habe.“ 1909 sollte das Büchlein (über den Heiligen Geist) des nunmehr berühmten und anerkannten Hermann Gunkel nachgedruckt werden. Er wurde gefragt, ob er es überarbeiten will und hat gekränkt abgesagt. Stattdessen hat er ein Vorwort zur Neuauflage geschrieben: „Wegen der unerwartet freundlichen Aufnahme teilt mir mein verehrter Verleger mit, dass eine neue Auflage das Buches, welches eine zeitlang vergriffen war, kontinuierlich gefordert würde, so dass er sich entschieden habe, es neu aufzulegen.“ So nach dem Motto: Ach, jetzt wollt ihr es also lesen – zwanzig Jahre zu spät. Hermann Gunkel, Rebell und Vordenker, wer hätte das gedacht.
Der Glockenturm ist das Wahrzeichen der Uni. Den tiefen Glockenschlag zur vollen Stunde höre ich in meinem Zimmerchen. | Heute war schönes Wetter und ich fand es zu schade, nur in der Stube zu hocken und zu lesen, also habe ich mir mein Levison-Gunkel-Buch geschnappt und bin zur Uni rüber gelaufen, um im Café zu lesen. Das ist etwa eine Viertelstunde Weg – wenn man will, am Kanal entlang (stadtauswärts!). Vor dem Café hab ich noch einen kleinen Rundgang über das alte Uni-Gelände gemacht. Die Uni Birmingham ist eine Redbrick University, eine „Klinkerbau-Universität“. Das sind Universitäten, die im 19. Jahrhundert gegründet worden sind – und im typischen industriellen Klinkerstil gebaut. Damit bilden sie einen Kontrast zu den altehrwürdigen Universitäten Oxford und Cambridge mit ihrer Architektur aus Mittelalter und Renaissance. (Es gibt dort aber auch Redbrick-Colleges.) Also ein bisschen klingt da schon mit: Nicht so alt – nicht so angesehen. Daher rühmt sich die Uni Birmingham auch damit, dass sie immerhin die älteste Redbrick-Universität ist. |
Ihre Geschichte geht auf 1828 zurück. Da wurde das Queen’s College als „Schule für Medizin und Chirurgie“ gegründet. Der Gründer hatte die Ambition, Geisteswissenschaften, Recht, Ingenieurwissenschaften, Architektur und Naturwissenschaften als eine Einheit zu lehren. Also wurden dort auch Theologen ausgebildet – weil Heilung nicht als entweder medizinisches oder theologisches Problem gesehen wurde, sondern als eine Frage des ganzen Menschen. | Das Hauptgebäude als viktorianischer Klinkerbau |
In das Gebäude (in dem ich gerade sitze), ist 1923 die theologische Fakultät eingezogen. Links daneben die Kapelle. Wenn man genau hinguckt, sieht man unter dem Baum ein himmelblaues Auto - das ist meins. | Irgendwie scheint das mit dem gemeinsamen Lehren aber nicht so funktioniert zu haben. Es gab interne Querelen, man verklagte sich sogar gegenseitig. Schließlich trennte man sich. Schließlich entstand die Universität von Birmingham, die ihre königlichen Universitätsrechte 1900 von Queen Victoria erlangt hat. Die theologische Fakultät muss irgendwie zwischen die Mühlen geraten sein und ist 1923 in die Somerset Road umgezogen, wo sie noch heute besteht als „Queen’s Foundation College“. Seit 1970 nennt sich das College „Ökumenische theologische Ausbildungsstätte“ und ist damit das erste ökumenische College Englands. |
Ach ja, und dann war da ja noch Hedwig. Damit begann das Konzert, in dem ich heute Abend war. Das CBSO, das City of Birmingham Symphony Orchestra hat ein Konzert gegeben: „Blockbusters – Filmmusik des 21. Jahrhunderts“. Das war schön! Es fand in Symphony Hall auf dem Millennium-Platz statt (da wo auch die Bibliothek und die Goldenen Jungs stehen). Das ist ein Konzertsaal für (laut Wiki) 2.262 Menschen. Heute Abend waren geschätzt 2.189 da, also fast ausverkauft. Ich saß ganz oben, hatte also einen guten Überblick. | Millennium-Platz - rechts die Bibliothek, daneben das REP-Theater und geradezu die Symphony Hall |
Es ist eine tolle Halle. Schön für Auge und Ohr. Wirklich, die Akustik ist genial. Selbst wenn man ganz, ganz oben auf den billigen Plätzen sitzt, wird der Klang einer einzelne Geige unten bis nach oben getragen, als würde sie gleich neben einem spielen. Die Birminghamer sind stolz auf ihren Konzertsaal. Der Moderator des Konzertes machte eine Anspielung, dass London so eine schöne Halle nicht habe. Für die Bemerkung bekommt er tobenden Applaus. |
Das Konzert begann mit dem berühmten „Hedwig-Thema“ aus Harry Potter. Dann kam der Knight-Bus (deutsch der „Fahrende Ritter“), eine meiner Lieblings-Szenen aus Harry Potter, wo der Triple-Decker durch London rast. Ansonsten gab es Musik aus: „Piraten der Karibik“, „Der kleine Hobbit“, „There will be Blood“, „Tatsächlich Liebe“, „Gladiator“, „Slumdog Millionaire“, „Krieg der Sterne“, „Bourne Ultimatum“, „Avatar“, „Star Trek“, „Gefährten“, „Sherlock“ und “Drachenzähmen leicht gemacht“. | Das Foyer in mehreren Ebenen zur Pause |
Die Symphony Hall befindet sich in einem Konferenz-Zentrum, ICC genannt. Da hinten,auf der anderen seite kommt man zu einer Brücke über den Kanal und da ist dann Brindleyplace. | Filmisch hatte ich die meiste Freude an der Sherlock-Suite. Vier Themen aus der BBC-Serie mit Martin Freeman und Benedict Cumberbatch, die Weihnachten in die vierte Runde geht. Musikalisch am schönsten fand ich Slumdog Millionaire, das war für Orchester und Sitar. Das ist dieses indische Instrument; wenn das erklingt hat man sofort Kühe und Rikschas und schwüle Hitze vor Augen. Eine Sitar wird offenbar immer barfuß auf dem Boden sitzend gespielt – so jedenfalls hat es die junge Frau im Sari auch vor klassischem Symphonieorchester gemacht. |
Als Zugabe gab es dann noch die aufgeblasene Tante Marge aus Harry Potter. Ach und übrigens, weil ich ja von Clara und Paul schon geschrieben habe: Hedwig, das ist der Name meiner anderen Oma. Nach der ist also Harry Potters Schnee-Eule benannt.