Edgebaston Old Church, die „Dorfkirche inmitten der City“, so wirbt die nächstgelegene Anglikanische Kirche um Gottesdienst-Besuch. Es ist der Tat eine reizende alte Kirche. Aber die Atmosphäre drinnen unterscheidet sich sehr vom frischen Geist, den ich gestern in Evesham gespürt habe. Es liegt vor allem an der Pastorin. Sie predigt ungebrochen von der „Bekehrung“ des Paulus. Er sei vom „Bully“ (einer, der andere bullied, also mobbt) zum Heiligen „bekehrt“ worden. Manchmal würde sich Gott die unwahrscheinlichsten Leute aussuchen als seine „Instrumente“, das ist ihr Hauptgedanke. (Der englische Bibeltext Apostelgeschichte 9 hat, wenn ich richtig gehört habe, zwar „vessel“, also Gefäß gesagt. Das wäre ein ganz anderes Bild, aber Präzision scheint nicht die Stärke dieser Predigerin zu sein.) | St. Bartholomäus Edgebaston (was der Stadtteil ist, in dem Queen's liegt) |
Später beim Tee erzählt mir die Pastorin, sie sei zur Anglikanischen Kirche konvertiert. Geboren sei sie als Quäkerin. Ich kann mir den Gedanken nicht verkneifen, dass sie das mal lieber geblieben wäre (Quäker feiern schweigend Gottesdienst). Aber das ist gemein. Im Gespräch war sie ganz nett. Aber ich würde dennoch darauf tippen, dass sie in sich selbst eine tiefe Unwürdigkeit spürt; sonst würde sie nicht so predigen (und es nicht einmal merken). Denn im Gespräch ist sie gar nicht grimmig, sondern gibt sich easy und happy.
Vor mir in der Kirche saß ein Ehepaar, geschätzte 75 Jahre. Beim Reingehen gab sie mir die Hand und sagte, was für wunderbare Kinder ich doch hätte, bis er sie sanft in die Bank vor mir schob. Ihr Geist war ganz offensichtlich schon vor Langem weit, weit weg ins Land der Demenz entschwunden. Den ganzen Gottesdienst über schaute sie sich um wie ein neugieriges kleines Mädchen, ab und zu von ihrem Mann sachte auf das Geschehen hin zurück verwiesen. Beim Friedensgruß, wo sich alle die Hand zum Frieden reichen, sehe ich, wie er sie zärtlich und liebevoll mitten auf den Mund küsst.
"Zum Grünen Mann" - und Suchbild: Wo ist Kerstin? | Zum Mittag bin ich doch noch im Green Man gelandet. Es gibt Black Pudding, auf Deutsch „Tote Oma“. Am Ende ist es dann doch nicht so drastisch, sondern dahinter verbirgt sich Kartoffelbrei, vermischt mit Blutwurst und Schinkenstückchen – und dann zu Klößchen geformt und frittiert. Lecker. |
Stattfinden sollte das in „Central Hall“. Ich google das – tatsächlich ganz im Zentrum. (Nicht weit von der Kathedrale entfernt, die durch deutsche Bomben 1944 zerstört worden ist.) Ich geh rein und komme in einen Saal – und kann ich mich gar nicht entscheiden, was das ist. Nach Kirche sieht es nicht aus. Ein Mittelding zwischen Konferenzsaal, Kino und Theater. Und genau das ist es auch, erklärt mir Sam. „Central Hall“ ist ein Konzept der methodistischen Kirche aus der Zeit vor dem Ersten (!) Weltkrieg. Man baute – zum Teil mit viel Geld – in Innenstädten Säle, die nicht nach Kirche aussehen, aber als Kirche genutzt werden. Es ging um das, was man heute „niedrigschwellig“ nennt. Es sollen Menschen kommen (und das funktioniert auch), die den Fuß vielleicht nicht über eine Kirchenschwelle setzen würden. Leider habe man in den 70er Jahren die meisten der Central Halls verkauft, weil man damals annahm: Innenstädte entvölkern sich. Mittlerweile ist die Entwicklung wieder umgekehrt. Vor allem junge Leute finden in Innenstädten eher eine preiswerte kleine Wohnung. In den Außenbezirken kauft man (in Großbritannien) Häuser – und das macht man nur als Familie. (Die berühmteste, auch noch existierende Central Hall steht in London – direkt gegenüber von Westminster Abbey. Da war ich schon so oft, hab aber nie in die andere Richtung fotografiert, weil ich nicht wusste, was das für ein Gebäude da ist.)
Man nimmt an Tischen Platz auf denen Teelichte stehen; die Stühle sind alle in Richtung einer Bühne gestellt – so wie bei uns im Fernsehen beim Kabarett „Scheibenwischer“. Eine Nebelmaschine schafft Atmosphäre. An einer improvisierten Theke gibt es alkoholfreie Cocktails. Dann fängt die Band an zu spielen. Ich bin keine Expertin in Jazz-Richtungen, aber es ist so eine Art Pop-Jazz. Zwei Sängerinnen, Piano, Saxophon, Querflöte, E-Bass und Schlagzeug. Erst mal wird ein bisschen gespielt. |
Dann kommt eine „Predigt“ vom Pianisten, Adam, der in der Gemeinde auch Jugendmitarbeiter ist. Ich denke: „Versau es jetzt nicht.“ Ich kenne „niederschwellige“ „Angebote“, die mich am Ende dann doch von hinten durchs die Brust ins Auge einfangen wollen. Und zwar meistens mit dem Holzhammer. Die mir erzählen, was für ein schlechter Mensch ist bin und wie Jesus mich rettet. Nicht immer so plump. Mein Magen ist da ein gutes Barometer. Wenn mir schlecht wird, stimmt was nicht. Er hat’s nicht versaut. Er hört sich ein bisschen zu gerne selber reden. Aber was er gesagt hat, war okay. Kurz gesagt, hat er jeden ermutigt, seine eigene Kreativität zu entdecken und zu leben. Ermutigend sei, dass wir dabei nicht aus dem Nichts heraus kreativ werden müssen. Das sei Gottes Spezialgebiet. ER hat uns alles geschaffen (kreiert), was wir brauchen – und wir können damit arbeiten. Und es ist die Fülle da... So ungefähr. Dann noch mal ein Musikstück. Eine Verabschiedung mit der Einladung wiederzukommen. Ein letztes Stück und ein „Segen“. Sie hat einfach gesagt: „God bless you all. Gott segne euch alle.“ Mir war jedenfalls sehr viel wohler zumute als nach dem Morgen-Gottesdienst in der Old Church.
Ich denke, es kommt wahrscheinlich nicht auf die Form eines Gottesdienstes an. Da hat jeder seinen eigenen Geschmack. In der Einführung wurde es gesagt, was – neben Kreativität – der Anspruch der Jazz Church ist: authentisch zu sein und: „benevolent“. Mein Wörterbuch sagt: gütig, mildtätig, wohlwollend. Also, dass Menschen gestärkt und nicht bedrückt werden. Alle diese drei Ansprüche hat Jazz Church eingelöst.
Ich war gegen halb acht wieder in Birmingham und hatte noch Lust auf ein Bier, aber nicht Lust auf Pub (vor allem nicht auf den – langen – Weg). Aber wir sind ja in Großbritannien. Sonntag 19.40 Uhr einkaufen gehen? Kein Problem. Der ganz normale Sainsbury’s (wie gesagt, eine Art Edeka) hat natürlich offen. Neben Sam in Central Hall hatte sich eine junge Frau gesetzt, die war vom Shoppen gekommen. Zu Sam sagt sie: „Ja, ich hab gesündigt. Ist mir ganz peinlich, am Sonntag mit Einkaufstüten in der Kirche aufzutauchen.“ Sam meint: „Über Sonntags einkaufen sagt die Bibel nichts. Nur über Samstags einkaufen.“ Witzbold.