Anschließend war eine Trauerfeier. Es war eine arme Beerdigung. Wenig Leute da. Der Verstorbene hatte keine Kinder, also waren Nichten und Neffen für die Beerdigung zuständig. Nur das Nötigste vom Nötigen. Viel Hilflosigkeit, was in einem solchen Fall zu tun ist. Die, die die Trauerfeier ausrichteten, kamen selber eine viertel Stunde zu spät. Andrew hatte es schwer mit ihnen. Die Familie lebt in Hereford. Das ist 70 km weg. Da ist es vielleicht nicht so leicht, zum Trauergespräch extra nach Evesham zu kommen. Also wollte Andrew telefonieren. Das hat auch nicht geklappt. Er hatte also mit den Hinterbliebenen vorher keinen Kontakt, nur per E-Mail. Andrew hat gesagt: „Ich weiß nicht, was ich predigen soll.“ Am Ende hat er gar nicht gepredigt. Hier ist es üblich, dass jemand von den Angehörigen einen Lebenslauf erzählt. Das hat eine junge Frau auch sehr schön gemacht. Und ansonsten gab es die Liturgie. Ich denke, Andrews Entscheidung war richtig. Eine Predigt hätte diese Menschen wahrscheinlich nur schwer erreicht. Und ich fand am Ende, es war – gerade angesichts der Vorgeschichte – eine gute Trauerfeier.
Die Liturgie war an einer Stelle ungewohnt für mich. Andrew hat was gemacht, das kannte ich nur aus dem Kino. Aha, dachte ich, das ist in Echt tatsächlich so. Während der Sarg herein- und herausgetragen wurde, hat er – na, frech gesprochen Bibelverse aufgesagt. Wenn ich sagen soll, wie es wirkt: In dem Moment, wo der Tod so sichtbar vor Augen ist, werden Worte aus der Bibel rezitiert, die sagen, dass wir keine Angst zu haben brauchen.
Der Bestatter war einer von der pompösen Sorte. Also der Einzug zu Beginn, der ging so. Zuerst kam: Andrew, lautstark rezitierend. Dann: Philipp der Bestatter. Im Frack. Der schritt im abgezirkelten Zeit-lu--pen---teemm-po dem Sarg voran, seinen Zylinder in Armeslänge vor sich hertragend… Ach, was bin ich froh, dass wir unser eigenes Bestattungsunternehmen haben und diesen Zirkus nicht machen. Bei uns gibt’s ja auch diese Sorte Bestatter, die denken, man muss irgendwelchen Zinnober veranstalten und sich zum Beispiel Chauffeursmützen aufsetzen. Schlichter Respekt reicht. (Was ganz anders ist natürlich ein Dorf wie Tünschütz. Da sind die Sargträger die Nachbarn zur Rechten und zur Linken. Für die existieren im Dorf vier Zylinder, die diese Männer dann aufsetzen. Dann werden Bauern zu Sargträgern. Das stimmt dann wieder.)
Philipp erzählte dann noch eine Geschichte. Er hat bei den Angehörigen einen Hausbesuch gemacht, um die Beerdigungsangelegenheiten zu besprechen. Der Neffe hatte einen Papagei, der auf den Satz „Halt die Klappe!“ („Shut up!“) trainiert war. Und der hat immer mal dazwischen geplappert. „Wünschen Sie eine Erd- oder eine Urnenbestattung?“ „Halt die Klappe!“ Philipp sagt, er musste sich sehr zusammenreißen, um das Gespräch anständig über die Bühne zu bringen.
Die Tasche an der Tür ist angemalt - Kunst auch auf dem Klo. | Und damit war der Tag erst halb rum und ich hatte schon wieder nichts mehr zu tun. Da hab ich noch dem MAD Museum in Stratford einen Besuch abgestattet, das stand auf meiner Liste. MAD steht für Mechanical Art & Design. Aber „mad“ heißt auch „verrückt“. Es ist tatsächlich eine Ausstellung verrückter technisch-künstlerischer Spielereien. Es hat sich gelohnt, dahin zu fahren. Es ist einfach nur herrlich. Leute, wenn ihr mal nach Stratford kommt – lasst dem Shakespeare sein Geburtshaus links liegen (buchstäblich!) und geht lieber ins MAD-Museum, das würde auch den Meister mehr erfreuen. Manche Ausstellungsstücke sind die verrücktesten Murmelbahnen, denen man stundenlang zugucken könnte. Eine – funktionierende! – Uhr aus LEGO-Steinen. Verspielte mechanische Apparate. Laser- und Licht-Spielereien. |
Dann war da noch ein Kabuff, da liefen kleine Filmchen. Da spielt einer der weltbesten Tischtennisspieler gegen einen Tischtennis-Roboter. Der schnellste Roboter der Welt. Und am Anfang war der Roboter unschlagbar. Es stand 9:0 für die Maschine. Dann aber hat der Mensch aufgeholt. Der Spieler hat herausgekriegt, worauf der Roboter nicht reagieren kann. Wenn der Ball zunächst das Netz touchiert, bevor er aufschlägt. Das konnte das Maschinenhirn nicht schnell genug berechnen. Den Ball auf die äußerste Kante und dann außerhalb der Reichweite des Roboter-Armes fitscheln. Am Ende hat der Mensch gewonnen. | Das ist das Innere einer dieser verrückten Murmelbahnen - diese ist aus Kupferdraht. |
Ein Uhrwerk, in das drei kleine Männekeken integriert sind, die sie ganze Zeit kurbeln. Daher sieht es so aus, als würden sie die Uhr antreiben. | Und dann ein Filmchen, da hab ich mich nur schief gelacht. Das gibt es auch im Internet: Youtube > „The Page Turner“ von Joseph Herscher. Ein Mann liest Zeitung. Trinkt einen Schluck Kaffee. An der Kaffeetasse ist ein Faden angebracht - sobald er die Tasse hebt, wird eine komplizierte Kettenreaktion in Gang gesetzt. An deren Ende läuft ein Klebeband über die Zeitung und schlägt Seite zwei auf, gerade, als er Seite eins zu Ende gelesen hat. Die schönste Stelle: Es muss eine Wippe bedient werden. Wie? Man baut die Wippe als Käfig und setzt auf die eine Seite einen Hamster. Davor baut man einen Fön, der durch die Kettenreaktion angeschaltet wird. Der Hamster fühlt sich durch den Wind gestört und läuft über die Wippe. Voilá! |
Das MAD-Museum befindet sich in der Henley Street. Und das ist nun wirklich seltsam. So oft war ich schon in Stratford. Auch in dieser Straße. Aber ich hab die noch nie so richtig zur Kenntnis genommen. Henley Street in Stratford ist wie Schillerstraße in Weimar oder Collegienstraße in Wittenberg – also die Touristenmeile. |
Das Geburtshaus in der Schaufensterscheibe des Ladens gegenüber gespiegelt. Und ja: Das ist ein Weihnachtsladen. Das ganze Jahr über. Ich sag doch, Japaner! Man kann, wie man sieht, auch Union-Flag-Herzen als Baumschmuck kaufen. | Hierher wollen sie alle. Die Amerikaner. Die Japaner. Die Chinesen. Die reichen Russen. Denn: Hier steht sich das Geburtshaus von Grrroße Meister. Eintritt £18. Ich hab mal durch den Zaun gelunzt. Da haben gerade zwei fünftklassige Laienschauspieler den Touristen die Balkonszene aus Romeo und Julia vorgespielt. Das ist eine Seite Stratfords, die ich nicht brauche. |
Ach, und noch eins: Mein Handy weiß neue Dinge über mich (vgl. 20. Februar). Dass mein zu Hause 17 Meilen entfernt ist. Bei Helen Gray! Also, dass mein Handy per GPS rausfindet, wo nachts mein Auto steht, da komme ich ja noch mit. Aber woher weiß es, bei wem ich wohne???! Und: Normalerweise bietet es mir Übersetzungen an, nämlich, was Guten Tag/Guten Abend in der Landessprache heißt. In der Henley Street bietet es einen anderen Satz auf Englisch an: „Die Rechnung bitte.“ Das ist offenbar der wichtigste Satz, den man hier braucht. | Der steht am Eingang der Henley Street. Der Narr. Der Fool. Der Jester. Ohne den kein Shakespeare-Stück auskommt. Der dem Leben die Schwere nimmt. Der den Mächtigen die Wahrheit sagt. Der die Fülle des Lebens feiert. |