Das ist ein Foto von vor 10 Jahren. Da auf der roten Bank hat der alte Herr gesessen... | Vor 10 Jahren war ich das letzte Mal in Oxford. Das weiß ich noch so genau, weil ich damals in Woodstock in einem B&B gewohnt habe bei einem älteren, höchst exzentrischen Ehepaar (die mittlerweile wahrscheinlich gar nicht mehr leben). Das war in einem normalen Reihenhaus à la Dursley. Nur, dass Vernon Dursley dieses Haus gar nicht gutgeheißen hätte. Er war nämlich voller Kram und Krempel. Und an einem Morgen, als ich starten wollte, saß der alte Herr auf seiner Gartenbank und zitierte mich zu sich auf einen Schwatz. Fragte mich aus, was ich von Beruf bin. Ahhh, ja, davon habe er schon gehört, Frauen als Pfarrer… Na, warum auch nicht? Sie hätten ja sogar schon mal eine Premierministerin gehabt, ob ich den Namen Margaret Thatcher schon mal gehört hätte? Da hab ich ihm erzählt (es war August 2005), dass im September bei uns Wahlen seien und wir dann mit ziemlicher Sicherheit eine Kanzlerin haben. So? Das sei aber interessant. Wie die denn hieße; er müsse da doch gleich nachher ins Wettbüro und eine Wette auf sie setzen. Und dann habe ich ihm den Namen Angela Merkel buchstabiert und er hat ihn sich auf den Rand seiner Zeitung geschrieben. |
Die Ausstellung, in der ich war, heißt: „Marks of Genius“ – Spuren von Genie. Ausgestellt werden Schätze der Bibliothek unter einer Grundidee: Genie hinterlässt Spuren in der Welt. Im Falle einer Bibliothek, Spuren auf Papier (bzw. Pergament und Papyrus). So waren mit Erklärungen zu sehen: Noch ein 1217er Exemplar der Magna Charta (Oxford hat gleich zwei davon). Es war in der Tat ein Geniestreich, diesen Text zu verfassen. Handschriftliche Notizen von Franz Kafka. Ein handschriftlicher kurzer Brief (auf Deutsch) von Albert Einstein an die Universität von Oxford: „Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Mitteilung betreffend die Verleihung des Ehrendoktor-Titels. Ich nehme die mir angebotene hohe Würde selbstverständlich dankbar an.“ Ein Telegramm ebenfalls an die Universität: “Professor Dorothy Hodgkin = Royal Academy of Science today awarded you the 1964 Nobel Prize for Chemistry Our warm congratulations Letter will follow = Erik Rudberg the permanent secretary.” An die Professorin Dorothy Hodgkin, dass sie den 1964er Nobelpreis für Chemie verliehen bekommt. „Unser warmen Glückwünsche. Brief folgt.“ Unterzeichnet ein Sekretär namens Erik Rudberg. | Der Ausstellungskatalog in einem Schaufenster |
Die Ausstellung ist in der Neuen Bibliothek, die in den letzten Jahren innen vollkommen umgestaltet worden ist und erst seit dem 21. März 2015 wieder geöffnet ist. Lese ich in Wiki. Ich hatte mich schon gewundert, weil ich dieses Gebäude so gar nicht in Erinnerung hatte. | Die erste Landkarte Großbritanniens, die die Umrisse erkennbar zeigt (13. oder 14. Jahrhundert, man weiß es nicht genau). Natürlich ein Albrecht Dürer (Die Apokalyptischen Reiter. Dabei habe ich mich erinnert, dass ich mich als Kind schrecklich vor diesem Bild gefürchtet habe.) Handschriftliche Noten von Händel (Messias – Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, also der Beginn des III. Teils) und Mendelssohn-Bartholdy (Schilflied). Natürlich ein Shakespeare (Erstdruck des Hamlet). Ein freundlicher, handschriftlicher Brief von Mahatma Gandhi. Handschriftliche Notizen für eine Rede vor dem Parlament von William Wilberforce (der jahrzehntelang für das Verbot des Sklavenhandels gekämpft hat). Und und und… Und jedes Ausstellungsstück erzählt eine ganze Geschichte. Ich hab mir am Ende den Katalog geleistet, weil ich mir alles noch mal in Ruhe angucken und nachlesen will. |
Und dann bin ich von Oxford direkt nach Stratford gefahren. Da war wieder einmal Theater. Dieses Mal das kleinere Swan Theatre. Und wieder kein Shakespeare, aber ein Zeitgenosse: Christopher Marlowe. Das Stück hieß "Der Jude von Malta". Es hat Ähnlichkeiten mit Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Es ist auch kein Zufall, dass es jetzt gespielt wird, denn Mitte Mai kommt Shakespeares Variante des Stoffes auf die Bühne in Stratford. Schauplatz bei Marlowe ist Malta. 1590, als das Stück entstanden war, ist es gerade einmal 25 Jahre her gewesen, dass Malta von den Türken belagert worden ist und beinahe verhungert wäre. In letzter Minute kam Rettung. | Den Blumenkasten habe ich im Januar schon mal fotografiert. Da waren keine Tulpen drin. |
Auf dieser schlichten Bühne findet alles statt. Über der Bühne ein kleines Orchester. Sehr gute Livemusik gehört neuerdings zum Stil von Stratford. | So hat man es in dieser Aufführung jedenfalls verstanden. Der Hauptdarsteller (den ich vor ein paar Wochen schon als König Heinrich V. gesehen habe) war hier großartig. Unheimlich witzig. Er hat es geschafft, dass man doch immer wieder Sympathien mit dem Fiesling hat – oder jedenfalls über ihn lacht. Nur als er hinterlistig den Mann umbringt, den seine Tochter liebt, das war gar nicht lustig. Die Christen jedenfalls werden auf dieser Bühne scheinheilig dargestellt mit aufgesetzter, oberflächlicher Frömmigkeit. Barabas dagegen gibt offen zu, gar keine Religion zu haben, außer, was ihm selbst nützt. So wirkt er immerhin „ehrlicher“ als die Frommen, die hellwach werden, wenn Barabas ihnen viel Geld anbietet, falls sie sich für seinen Zwecke einspannen lassen. Das er am Ende scheitert, liegt dann auch nur daran, dass er es übertreibt, dass er nicht merkt, wann er aufhören muss. Da läuft er in seine eigenen Falle und verschwindet wie Don Giovanni in einer Art Höllenschlund. |