Der spitze Turm, das ist die Allerheiligenkirche von Evesham. Der dicke Turm ist der letzte Rest des Klosters, das hier mal gestanden hat. | Sonntag. Heut habe ich beschlossen, ich will doch mal gucken, wie Gottesdienst in Evesham ist. Andrew war in einer Dorfkirche. Den Gottesdienst geleitet und gepredigt hat Alan, ein pensionierter Pfarrer. Es war eine freundliche Atmosphäre, nach der ich immer noch Lust habe, eine Zeit in Evesham zu verbringen. Beim Kirchenkaffee habe ich mit Helen gesprochen. Sie ist „Warden“; bei uns wäre das so eine Art Kirchenälteste. Helen hat ein Haus, das offenbar groß genug ist, dass ich dort ein Zimmer haben kann. Na, da wäre das ja auch geklärt. |
Evesham ist eine schöne Stadt mit offensichtlich alter Geschichte – in der Innenstadt gibt es niedliche Fachwerkhäuser. Die Stadt liegt in einem Flussbogen und zwar am Avon. Dem Avon, der vorher durch Shakespeares Stratford-on-Avon geflossen ist. Man sieht Städten meistens an, ob die Menschen darin reich sind oder nicht. In Leonberg zum Beispiel war ich mal in einem Einkaufszentrum, da war ein Delikatessenladen, da haste pro Scheibe Schinken eins fünfzig gezahlt. Da weiß man, wo man ist. Evesham ist nicht reich. Aber schön. | Das hessische Melsungen ist eine Partnerstadt von Evesham. |
Spazierweg am Avon | Mittag gegessen habe ich in einem süßen Restaurant namens „The Cobweb“. Also, in Großbritannien ist es üblich, dass die Ergebnisse der Hygienekontrolle nach außen veröffentlicht werden. Es gibt die Stufen 1 bis 5. Fünf ist am saubersten – und „Die Spinnwebe“ hatte trotz des Namens die höchste Punktzahl und obendrein ein leckeres Sunday Roast zu bieten. |
Kurz vor seinem Nachmittags-Gottesdienst hab ich noch kurz bei Andrew vorbeigeschaut. Dieser Gottesdienst war auf dem „Pew Sheet“ vormittags schon angekündigt. (Das ist der Abkündigungszettel, den man beim Betreten er Kirche in die Hand bekommt, wörtlich übersetzt heißt das „Kirchenbankzettel“.) Dort war also dieser Gottesdienst angekündigt als „Gottesdienst aus Anlass der Schließung der St Egwins-Gruppe der Mothers‘ Union“. Mothers‘ Union ist dasselbe wie bei uns die Frauenhilfe. Bei uns ist die ja schon in den 80er Jahren als viel zu altmodisch eingegangen (stattdessen sind mehr oder weniger feministische geprägte Frauengruppen entstanden). | Auf dem Kirchhof blühen die Winterlinge |
Am Abend habe ich mir dann noch die zweite Kinopremiere des Wochenendes angeschaut. Und das war der erwartungsgemäß beeindruckende Film „Selma“. Das ist kein Mädchenname, sondern ein Ort in Alabama, der 1964/65 Schauplatz des Kampfes der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King war. Man hatte erreicht, dass Rassentrennung (zum Beispiel im Bus) per Gesetz aufgehoben worden ist. Was jetzt anstand, war das Wahlrecht. Theoretisch durften alle wählen, aber schikanöse Beamte in den Südstaaten verweigerten es de facto schwarzen Menschen. Am Anfang des Filmes wird das geschildert, wie eine Frau (gespielt von Oprah Winfrey) das Formular ausfüllt, um sich als Wählerin registrieren zu lassen und es wird erneut abgelehnt. Plötzlich muss sie noch eine Staatsbürgerkunde-Prüfung bestehen. Sie kann zwar den ersten Artikel der Verfassung auswendig und weiß, wie viele Kirchen im Wahlkreis sind, nicht aber, wie die 67 Kirchen alle heißen.
Vieles hat mich beeindruckt an dem Film. Am meisten vielleicht, wie Martin Luther King sozusagen „hinter den Kulissen“ gezeigt wird. Nicht der strahlende und mitreißende Redner, dessen Reden irgendwie der Vorläufer des Rap sein müssen, so rhythmisch kommen sie daher. Sondern der Zweifelnde, manchmal Verzweifelnde. Denn es war lebensgefährlich, was sie da gemacht haben. Gewaltloser Widerstand, das hieß: Demonstrieren und damit rechnen angegriffen zu werden, geschlagen zu werden, verhaftet auf jeden Fall und manchmal auch getötet. Das war Taktik, so wie sie ja auch schon Gandhi angewendet hatte. Die Taktik hieß: Den Gegner dazu provozieren, dass er sich ins (moralische) Unrecht setzt. Am besten vor laufender Kamera. Und das hat funktioniert, aber einen hohen Preis gekostet.
Präsident Lyndon B. Johnson wird vom großen Tom Wilkinson gespielt – das war auch beeindruckend, wie der Engländer den amerikanischen Akzent hinkriegt. Ich musste dreimal hingucken, ob er‘s wirklich ist. (Dann aber habe ich gelesen, dass er das schon mal geübt hat, 2011 in einer Fernsehserie in der Rolle von Joe Kennedy, dem Vater von JFK).
Von den Ereignissen in Montgomery und dem Busstreik hat man ja viel gehört; die Selma-Geschichte kannte ich noch nicht. Ich hab sie zu Hause in Wikipedia nachgelesen. Dort steht geschrieben, ein Rabbi, der sich den Protestmärschen angeschlossen hat, habe gesagt: „Als ich in Selma im Protestzug gelaufen bin, da haben meine Füße gebetet.“ Genau das strahlt der Film aus. Also auch die geistliche Kraft, die diese Bewegung beflügelt hat. Ich hab an 1. Korinther 6,19 gedacht, wo es heißt, dass der Körper der Tempel Gottes ist. Das wird ja meistens sehr prüde ausgelegt. Diese Menschen haben ihre Körper zur Verfügung gestellt, damit Gerechtigkeit geschehen kann. An einer Stelle wird das auch ungefähr so gesagt, wenn auch nicht mit dieser Bibelstelle. Und an die Geschichte, wie Jesus in der Wüste versucht wird, habe ich denken müssen. Der Abgesandte von Präsident Johnson kommt mehrmals zu King und versucht ihn zum Aufgeben zu bewegen. Der Präsident stimmte dem Anliegen der Bürgerrechtler zwar zu, wollte sich aber politisch nicht in die Nesseln setzen. Und sein Mitarbeiter geht King um den Bart und verspricht ihm das Blaue vom Himmel, nur damit er aufhört zu marschieren. Und hat keinen Erfolg damit – und das obwohl King selber unendlich darunter leidet, dass durch diesen Kampf Menschen, Freunde ihr Leben verlieren.
Wenn man öfter ins Kino geht, dann kennt man langsam auch die aktuellen Werbespots. Zwei sind mir in den letzten Wochen aufgefallen, eine interessanter und ein perverser. Der erste: Eine Gala-Gesellschaft wird gezeigt, große Garderobe, reich gedeckte Tafel, die Schönen und Reichen versammelt – und warten offensichtlich alle auf einen Mann. Von dem wird gesagt (so ungefähr): „Er ist erfolgreich. Er weiß sich durchzusetzen. Wo andere den leichten Ausweg nehmen, sucht er das Risiko…“ Und immer noch warten sie auf ihn und man denkt schon: Wann taucht denn endlich das Ekel auf? Dann kommt es: „Deshalb hat er sich entschlossen, heute Abend nach Hause zu fahren und mit seiner Familie einen Film zu schauen.“ Sag noch einer, es ändert sich nichts an Rollenklischees. Die Werbung geht am Ende dann um Auto, und zwar um VW. Slogan: As advanced as you are – so fortschrittlich, wie Sie sind. Und dann: „Volkswagen. Das Auto.“ (Letzteres in Deutsch!) Und der andere Spot – da wird für ein Reiseunternehmen geworben, das einem bei der Entscheidung, ob man nach Spanien oder in Türkei fahren soll, behilflich sein soll. Eine Flamencotänzerin und ein Teppich-Türke spielen erbittert Beach-Volleyball – die Frage ist also, wer gewinnt. Das Reisebüro wird helfen, den Kampf zu entscheiden. Soweit der Spot. Das Widerliche finde ich daran die Musik: Das Dies Irae aus Mozarts Requiem. Wunderbare, mitreißende Musik, ja – hier aber vollkommen sinnentleert als bloße Untermalung missbraucht. Obwohl, vielleicht hat es ja auch wieder einen Sinn. Im Text des Dies Irae heißt es: „Welch ein Graus wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt, mit Fragen streng zu prüfen alle Klagen!“
Und dann habe ich am Computer noch einen Fernsehabend gehabt. Heute sind die britischen Filmpreise, die BAFTAs vergeben worden; die BBC hat die Verleihung aus der Oper Covent Garden übertragen (die Oper, aus der ich neulich Andrea Chénier im Kino gesehen habe). Trotz Stephen Fry als Moderator eine zähe Veranstaltungen ohne Überraschungen. Stephen Hawking war anwesend und durfte erleben, wie der Film über ihn drei Preise abgekriegt hat (darunter Eddie Redmayne als Hauptdarsteller). Einen Film allerdings sollte man sich merken: „Pride“ mit Imelda Staunton und Billy Nighy. Der ist im Kino durch, aber noch nicht als DVD raus. Müsste eigentlich nach zwei Nominierungen und einem Preis noch passieren.