Ich höre ja jeden Tag deutsches Radio über das Internet und da haben sie heute gemeldet, dass der „Anglizismus des Jahres“ bekannt gegeben wurde. Noch nie von gehört. Ich google und lese: „Die Entlehnung von Wörtern ist ein natürlicher Prozess, der in allen Sprachen stattfindet. Unsere Initiative würdigt regelmäßig den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung der deutschen Sprache, indem sie den ‚Anglizismus des Jahres‘ wählt.“ Aha.
And the winner is… „Blackfacing“. Nie gehört. Ich lese: „Das Wort bezeichnet die Darstellung schwarzer Menschen durch (häufig stereotyp) geschminkte Weiße, ursprünglich vor allem im Rahmen von Theateraufführungen. Diese Praxis gilt weithin als rassistisch.“ Aha. Schwung gewonnen habe die Debatte um Blackfacing durch eine Saalwette bei „Wetten dass…“ (mit Markus Lanz!), bei der die Zuschauer sich mittels Schuhcreme als Kinderbuchfigur Jim Knopf verkleiden sollten. Da dämmert mir, ich hab mal was dazu gelesen, gar nicht lange her. Ich glaube es war ein Zeitungsartikel. Da hieß es, man könne in Deutschland Othello nicht mehr spielen – weil man da eben „Blackfacing“ machen müsste (also einen weißen Schauspieler dunkel schminken). Denn normale Stadttheater in Deutschland hätten in der Regel kein männliches Ensemblemitglied der richtigen Altersklasse, der auch noch von alleine dunkle Haut hat. Hmmm… Ich weeß nicht. Kann man es auch übertreiben? Auf Othello verzichten?
Ich kenne hier aus England schon länger das Gegenteil. Das heißt „colour blind casting“, farbenblinde Besetzung (von Theater- und Filmrollen). Mit Othello funktioniert das natürlich nicht – da kommt es im Text vor und ist es Teil des Problems, dass er der „Mohr“ ist. Aber wo es keine Rolle spielt, da wird bei der Besetzung ausschließlich darauf geachtet, ob der Schauspieler, die Schauspielerin passt – von Alter, Typ, Fähigkeiten… Die Hautfarbe spielt bei der Auswahl keine Rolle. Das habe ich auf englischen Bühnen schon öfter gesehen. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Bevölkerung hier (und in Amerika) viel bunter ist als in Deutschland. Und da gibt es reihenweise begabte Schauspieler, die dürften streng genommen nie einen Shakespeare spielen (außer halt Othello).
Ein auch in Deutschland bekanntes Beispiel ist die Kenneth Branaghs Verfilmung von „Viel Lärm um nichts“. Da wird der Prinz von Denzel Washington gespielt und sein (böser) Bruder von Keanu Reeves. Und das Schöne ist: Es funktioniert – wenn es gut gemacht und gespielt wird. Einen Moment ist man zwar vielleicht verwundert, wie Washington und Reeves biologische Brüder sein sollen. Aber schon bald spielt das keine Rolle mehr und man sieht nur noch den Menschen, den die Schauspieler verkörpern. Vielleicht, wenn wir es auch im Leben außerhalb der Bühne gelernt habe, die Hautfarbe eines Menschen zu vergessen, vielleicht können wir es uns dann wieder fröhlich erlauben, den dritten König im Krippenspiel schwarz zu schminken.
Und dann ist heute der 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Der Abend-Gottesdienst in Queen’s war dem Ereignis gewidmet. Allerdings blieb mir die Predigt sehr im Theoretischen und Wortspielerischen stecken. Die Predigerin behauptete, das Gegenteil von „remember“ (erinnern, gedenken) sei nicht „forget“ (vergessen), sondern „dismember“ (zerstückeln, verstümmeln). Also nur mit Erinnern ist ganzes Leben möglich, ohne Erinnern (auch und gerade an Dunkles im Leben) würde man sich von wichtigen Quellen für sein heutiges Leben abschneiden. Das ist ja nicht falsch. – Das heißt von der Wortgeschichte her stimmt es nicht – remember kommt von memoria (Gedächtnis, Erinnerung, Andenken), dismember kommt von membrum – Glied (in jeder Bedeutungsform)… Was sich mir aber nicht erschlossen hat, was genau das hier und heute mit dem Holocaust zu tun hat. Das war wenig konkret.
Beim Abendessen frage ich also bei meinen Tischgenossen nach, indem ich provoziere: „Was bedeutet es in Großbritannien, den Holocausttag zu begehen? Ihr wart doch die Guten; die Täter waren schließlich wir.“
Zwei Antworten habe ich bekommen.
Kate ist schätzungsweise Ende 50, Anfang 60: „Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich in Deutschland geboren worden wäre. Wir haben kein Recht zu urteilen. Als Menschen sind wir nicht besser als andere. Und wenn ich höre, wie manche der deutschen Beamten gesagt haben, sie hätten doch nur ihre Pflicht getan… Wer weiß, die haben vielleicht Familie gehabt und mussten Brot auf den Tisch bringen.“
Tim, vermutlich Anfang 40: „Großbritannien hat zugeschaut. Die Regierung hat genau gewusst, was losgeht und hat nichts getan. Ich habe von Juden gehört, die sich nach England haben retten können und die britische Regierung angefleht haben, etwas zu unternehmen – ohne Erfolg. Das war eine Menschheitskatastrophe. ‚Humanity‘ hat versagt, nicht nur in Deutschland.“ (Humanity bedeutet Menschheit und Menschlichkeit zugleich.)