Den Namen Thomas Hardy hatte ich schon gehört, aber nie etwas von ihm gelesen. 2003 hat die BBC einmal herausgefunden, was die 200 meist gelesenen Romane in Großbritannien sind. Da kam „Far from the madding crowd“ auf Platz 48. Das ist ein Platz, wo man sagen kann, es ist ein Buch, von dem hier jeder wenigstens den Titel schon mal gehört hat. Bildungslücke geschlossen. Platz 1-10 übrigens waren Lord der Ringe, Stolz und Vorurteil, His dark Materials (das einzige, das ich nicht kenne; Phantasy-Trilogie von Philip Pullman), Per Anhalter durch die Galaxis, Harry Potter und der Feuerkelch, Wer die Nachtigall stört, Pu der Bär, 1984, Der König von Narnia und Jane Eyre.
Thomas Hardy ist tatsächlich ein englischer Theodor Fontane. Einer, der realistisch und kritisch seine Zeit, die in Großbritannien viktorianisch genannt wird, beschreibt. Besonders schreibt er gegen die Zwänge in der Gesellschaft, durch die Menschen unglücklich werden. Beeinflusst ist er von Charles Dickens, lese ich in Wiki. Nur wo Dickens das Leben in den industrialisierten Städten beschreibt, erzählt Hardy vom Verfall des ländlichen Lebens.
Die Hauptheldin heißt Bathsheba, also wie die Frau in der Bibel, die von König David entdeckt wird und weil er sie haben will, kriegt er sie. So eine (oder eine Effie Briest) ist Bathsheba allerdings gerade nicht. Sie wird als eine Frau eingeführt, die selbstbestimmt leben will, die gerade kein Opfer sein will. Was in ihrer Zeit so unerhört wie schwierig war. (Heute ist es höchstens noch schwierig.) Bathsheba betreibt eine Landwirtschaft und es werden Szenen gezeigt, wie sie mit ihrer Ernte auf die Getreidebörse kommt und nicht für voll genommen wird. Nur weil sie eine Frau ist, muss sie einen niedrigeren Preis in Kauf nehmen, als der Vorgänger auf dem Gut – obwohl das Getreide in seiner Qualität das gleiche geblieben ist.
Am Anfang ist sie arm und lebt in einem kleinen Haus. Ein wohlhabender Nachbar, Gabriel (schon wieder ein biblischer Name, der Weihnachts-Erzengel), macht ihr einen Heiratsantrag. Sie lehnt ab. Sie will sich nicht in die Abhängigkeit einer Ehe begeben. Dann ändern sich ihrer beiden Lebensumstände drastisch. Er verliert seinen ganzen Besitz, 200 Schafe, auf einen Schlag. Sie erbt ein großes Gut von ihrem Onkel. Er wird am Ende ihr Angestellter als Schäfer. Und jetzt ist nach den Konventionen an eine Ehe überhaupt nicht mehr zu denken.
Stattdessen tritt ein reicher Nachbar-Gutsherr auf den Plan, Mr. Boldwood. (Also mit der Namensgebung war Herr Hardy schon ziemlich durchsichtig. Boldwood heißt Kühnholz. Gabriel hingegen heißt Oak, also Eiche, mit Nachnamen;) Mr. Boldwood ist schon älter und verfällt in eine nicht ganz gesunde Leidenschaft für Bathsheba. Heute würde man ihn Stalker nennen. Aber er könnte ihr Sicherheit geben. Das Leben als Frau, die ein großes Gut managt, ist nicht leicht. Da aber kommt ein junger Offizier im roten Rock daher. Er verführt sie. Und sie denkt, dass die plötzliche erotische Anziehung der einzige Grund sein könnte, doch zu heiraten. Am Hochzeitstag schon stellt er sich allerdings als ein Nichtsnutz heraus. Statt für das Anwesen zu sorgen, verspielt er um ein Haar das Gut. Schließlich wird Bathsheba auf einen Schlag beide Männer los. Boldwood erschießt den Offizier, als der Bathsheba misshandelt. Er wird dafür zwar nicht gehängt; es gilt als Verbrechen aus Leidenschaft. Aber er wird eingesperrt. Schließlich traut sich Gabriel doch, Bathsheba ein zweites Mal zu fragen. Und sie wird mit einem Mann glücklich (jedenfalls nimmt man das nach einem happy end an), der gesellschaftlich ganz und gar nicht zu ihr passt.
Bathsheba wurde von Carey Mulligan gespielt, die 2005 in Stolz und Vorurteil als Kitty Bennet ihr Filmdebut gegeben hat. Jetzt ist sie zehn Jahre älter und eine richtig gute Schauspielerin geworden. Und Gabriel ist Matthias Schoenaerts zum dritten Mal in diesem Frühjahr. Und schon wieder spielt er den stillen, geheimnisvollen, starken Mann… Darauf scheint er abonniert zu sein; aber diesen Typ kann er auch. Mr. Boldwood hätte ich beinahe nicht erkannt – er trägt auch einen angeklebten Bart. Es ist Michael Sheen, den wir als Premierminister Tony Blair gesehen haben – in The Queen. Es ist ein schöner Film mit starken Bildern, guter Musik, hervorragenden Schauspielern. Ganz hübsch, wie die erste Szene den Ton vorgibt (da ich das Buch nicht gelesen habe, weiß ich jetzt nicht, wessen Erfindung das ist, Hardys oder die des Drehbuchautoren): Sie sitzt, wie sich das gehört, im Damensattel auf ihrem Pferd. Dann mit einem verächtlichen „was soll’s“ schwingt sie ihr Bein auf die andere Seite, sitzt endlich bequem und fest im Sattel – und reitet im Sturm los.
Ach ja, „Far from the madding Crowd“ wird in Deutschland unter dem Titel „Am grünen Rand der Welt“ verlegt – zum Beispiel bei dtv.