Das ist so ungefähr das glatte Gegenteil von Döbritschen. Da war ich 1998-2000. Meine erste Predigt dort war ein Schock. Die Leute saßen die ganze Zeit stocksteif mit ausdrucksloser Mine in der Bank. Nichts rührte sie zu irgendeiner Reaktion. Als ich die Menschen dann einzeln kennen gelernt habe, wusste ich, dass sie hellwach sind und sehr wohl alles aufnehmen. Und einzeln waren sie unglaublich offen mit mir. In Döbritschen haben ich mehr Lebensgeschichten erfahren als irgendwo sonst. Es hat sich offenbar (und wahrscheinlich über Jahrhunderte) eine Dorfkultur herausgebildet, dass man als Schutz vor gegenseitiger Sozialkontrolle in der Öffentlichkeit nichts gucken lässt. Im Bild des Fitschelsteins: Da ist jeder Stein immer gleich untergegangen. Aber nachdem ich die Leute kennengelernt habe, wusste ich, dass alles bis auf den Grund der Seele sinkt, auch wenn man außen nichts sieht.
Tja. Heute war also Mittwoch. Ich habe den Vormittag mit Gesprächen über Mystik verbracht. Helen und ich waren uns einig, dass das Schlimmste, was einem zustoßen kann, die Gleichgültigkeit ist. Wir haben nämlich unter uns einen heimlichen Buddhisten. (Mark, ein ganz netter, unglaublich sanfter Mensch, Mitte 40, würde ich schätzen.) Der hatte gemeint, dass das das letzte Ziel der Meditation sei, dass man gleichgültig würde (vielleicht hat er ja Gelassenheit gemeint, gesagt hat er aber Gleichgültigkeit, Indifferenz). Helen hat ungewöhnlich stark protestiert. Sie ist ja eigentlich die letzte, die jemandem vorschreiben will, wie er zu glauben und zu denken hat. Aber hier konnte sie nicht an sich halten: Das Christentum habe mit Passion, mit Leidenschaft zu tun und sei das ganze Gegenteil von Gleichgültigkeit. Ich kann da nur heftig zustimmen. Mir fiel das Lied von Mercedes Sosa ein: Solo le pido a dios… Mercedes Sosa habe ich 2000 in einem ihrer letzten Konzerte live gehört, in Jena in der Kulturarena. (Naja nicht ganz, 2002 hat sie noch in Carnegie Hall, New York und im Kolosseum in Rom gesungen.) Sie ist 2009 gestorben. Ich war damals mit einer Freundin im Konzert, Ilze. Und während ich das Konzert über in grenzenloser Bewunderung und Anbetung in der ersten Reihe saß, war Ilze neben mir ein wenig gelangweilt und sagte zum Schluss: "Naja, nicht schlecht…"
Sólo le pido a Dios que el dolor no me sea indiferente, que la reseca muerte no me encuentre vacío y solo, sin haber hecho lo suficiente. Sólo le pido a Dios que lo injusto no me sea indiferente, que no me abofeteen la otra mejilla, después que una garra me arañó esta suerte. Sólo le pido a Dios que la guerra no me sea indiferente, es un monstruo grande y pisa fuerte toda la pobre inocencia de la gente. Sólo le pido a Dios que el engaño no me sea indiferente, si un traidor puede más que unos cuantos, que esos cuantos no lo olviden fácilmente. Sólo le pido a Dios que el futuro no me sea indiferente, desahuciado está el que tiene que marchar a vivir una cultura diferente. | Nur das Eine erbitte ich von Gott dass das Leiden mich nicht gleichgültig lässt, dass der bleiche Tod mich nicht findet, leer und einsam bevor ich nicht genügend tun konnte. Nur das Eine erbitte ich von Gott dass die Ungerechtigkeit mich nicht gleichgültig lässt, dass sie mich nicht auf die andere Wange schlagen, nachdem ihre Klauen mich zum Glück nur gekratzt haben. Nur das Eine erbitte ich von Gott dass der Krieg mich nicht gleichgültig lässt, dieses Furcht erregende Monstrum, das die Unschuldigen gnadenlos zertrampelt. Nur das Eine erbitte ich von Gott dass der Betrug mich nicht gleichgültig lässt, falls ein treuloser Verräter an der gerechten Sache mehr erreicht als die Wenigen, und dass diese Wenigen nicht so leicht vergessen. Nur das Eine erbitte ich von Gott dass die Zukunft mich nicht gleichgültig lässt, und dass ich auch die nicht aufgebe, dass ich auch an die denke, die sich aufgemacht haben, weil sie anders leben wollen. |
Und nach Helen war schönes Wetter und ich dachte, das nutzt du aus. Ich bin nach Birmingham rein gelaufen. Das sind knapp vier Kilometer. Der Weg führt direkt an einem der Kanäle entlang. Um 1800 hat man in Birmingham ein verzweigtes Netz an Kanäle gebaut – für den Warentransport. Birmingham hat mehr Kilometer Kanäle als Venedig – allerdings auf viel mehr Fläche verteilt. |
Und heute sind Wege an den Kanälen entlanggebaut, wo man spazieren gehen, joggen, Fahrrad fahren oder den Hund ausführen kann. Und – eine Fremde kann sich nicht verlaufen – wenn sie die richtige Richtung einschlägt. Das habe ich zunächst versäumt. Und bis ich meinen Fehler gemerkt habe, war ich schon ein Stück stadtauswärts gelaufen. Also war der Weg für mich fünf Kilometer lang. |
Am Ende kommt man in Brindleyplace an. Das war mal Industriegebiet. Das war dann mal vollkommen runtergekommen und lag brach. Und das ist dann wunderschön wieder aufgebaut worden und gilt als Musterstück städtischer Erneuerung. Und ich fand es dann auch architektonisch sehr schön. Schöner als Potsdamer Platz (was keine Kunst ist). Aber irgendwie war es dann aber auch doch wieder Potsdamer Platz. |
Nämlich: Da war kein Leben. Das war nicht Nikolaiviertel. Der Unterschied ist: Was siedelt man in so einem sanierten Gebiet an? Kleine Läden? Privatinitiativen? Menschen mit Ideen? Oder – Banken, Firmenzentralen und Vertreter der wichtigsten Restaurantketten? Caffè Nero, Café Rouge, Costa Coffee und alle im Umkreis von 500 Metern vorhanden (Jawohl: Caffè, Café, Coffee! Italienisch, französisch, englisch.) Allerdings nicht die Freß-Kette mit dem irischen Namen. Immerhin. In Brindleyplace Nummer Sechs die Royal Bank of Scotland. |
Und es wird weiter gebaut in Birmingham. Und das ist - dennoch - wahrscheinlich gut so. Wie gesagt, ich finde die Stadt viel bunter und interessanter, als ich es vermutet hätte. Zurück hab ich dann den Zug von New Street genommen. Im Hintergund sieht man die Bilbliothek, the Library of Birmingham. Von der habe ich ja schon erzählt. |