Noch in Birmingham hatte ich mir das Buch zum Film „Theory of everything“ gekauft (deutsch „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ – siehe 18. Januar). Das Buch dazu wäre „Eine kurze Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking. Ja, es ist keine Bettlektüre. Also man sollte wach sein beim Lesen und nicht schon halb am Wegdämmern. Aber mit ein bisschen Konzentration ist es viel leichter zu verstehen, als ich gedacht habe. Dieses Buch gehört ja zu den Büchern, die unter dem Verdacht „am meisten gekauft, am wenigsten gelesen“ stehen.
Stephen Hawking hat zwei Leidenschaften.
Nummer eins: Die eine (naturwissenschaftliche) Erklärung für die Welt finden. (Weswegen der deutsche Filmtitel ungeschickt ist. Warum konnte man den Film nicht „Eine Theorie für alles“ nennen?) Das bedeutet vor allem, Relativitätstheorie und Quantenphysik unter einen Hut zu bringen. Die vertragen sich nämlich nicht. Im Film heißt es: „Relativitätstheorie und Quantenphysik sind wie Kartoffeln und Erbsen. Wenn die Welt nur aus Kartoffeln bestehen würde, wäre alles wunderbar. Man könnte alles bis zurück zum Anfang der Welt erklären. Aber sobald man Erbsen dazugibt, kommt alles durcheinander und stimmt überhaupt nicht mehr. Und Einstein hasste Erbsen.“ Die Relativitätstheorie beschreibt alles, was ganz groß ist, also den Weltraum, und besagt, dass nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit relativ ist. Ersteres wusste schon Newton und kann jeder beobachten, der am Bahnhof im Zug sitzt und der Zug am anderen Gleis fährt ab. Raum ist relativ; es ist nicht zu erkennen, wer sich bewegt, ich oder der andere Zug. Das auch die Zeit relativ ist, wissen wir seit Einstein und es besagt, dass jeder seine individuelle Zeit hat, abhängig davon, wo und wie er sich bewegt. Uhren auf einem Turm gehen schneller als die auf dem Grund. Quantenphysik hingegen trifft auf die Dinge zu, die ganz klein sind, Elementarteilchen. Und sie besagt, dass wir von diesen Teilchen entweder wissen, was sie gerade machen oder wo sie sich gerade befinden, aber nicht beides zugleich. Das hat zur Folge, dass man in der Welt der Physik doch nicht alle Ereignisse vorhersehen kann, wie man lange gedacht hat. Wenn man weiß, wie sich Planeten bewegen, kann man vorhersagen, an welchem Punkt des Himmels sich Venus am 28. September 2046 befinden wird und wann die nächste Sonnenfinsternis sein wird. Für kleine Teilchen weiß man nicht einmal, wo sie sich genau jetzt befinden, geschweige denn, wo sie in der Zukunft hin schwirren werden. Die Quantenphysik führt auf die Art Zufälligkeit und Unberechenbarkeit in die Physik ein. Das hat Einstein gar nicht gemocht und mit dem Satz abgelehnt: „Gott würfelt nicht.“ Hawking möchte nun diese beiden Theorien gerne zusammen bringen, also eine Theorie daraus machen, weil das große Universum einmal ganz klein gewesen sein muss – nämlich zum „Zeit“punkt des Big Bang.
Nummer zwei: Hawking möchte gerne das Universum so erklären, dass normale Menschen das zumindest in den Grundzügen verstehen. Und warum soll das nicht möglich sein? Das meiste kann man sich zwar nicht vorstellen, weil man es nicht sieht. Aber „sehen“ wir vielleicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dass Sterne Millionen von Lichtjahren entfernt sind, dass unsere Milchstraße nur eine von Abermillionen anderer Galaxien ist, daß ein Tisch im Wesentlichen aus den gleichen Atomen besteht wie ein Mensch? Und doch sind uns das heute Selbstverständlichkeiten, die man den Kindern schon erklärt. Ich fand beim Lesen noch einmal faszinierend, wie früh manche Entdeckungen schon gemacht worden sind – gegen allen Anschein. Dass die Erde eine Kugel ist… Da musste erst mal jemand (Aristoteles 340 Jahre v.u.Z.) auf die Idee kommen, dass eine Mondfinsternis durch den Erdschatten ausgelöst wird und dass der Schatten immer rund ist und daher nicht von einer Scheibe kommen kann, sondern von einer Kugel herrühren muss. Dass er dann dachte, dass diese Kugel im Zentrum der Welt steht, ist eine andere Sache und ein verzeihlicher Fehler. Es fühlt sich ja tatsächlich so an. 1514, drei Jahre vor der Reformation, fand Nikolaus Kopernikus, dass sich die verschlungenen Planetenbahnen am besten erklären lassen, wenn sie alle samt der Erde um die Sonne kreisen… Und dann blickst du auf und schaust aus dem Fenster und denkst: „Quatsch. Ich weiß doch wo oben und unten ist. Da sind die Wolken am Himmel und das Gras auf der Wiese. Und die Sonne sinkt gerade, ich sehe es genau.“ Warum sollen nicht auch die neueren Erkenntnisse der Physik verstehbar sein, wenn schon die simpelsten Sachen unserem täglichen Erleben nicht entsprechen?
Seinen beiden Leidenschaften kommt Hawking natürlich nur annähernd nahe. Zum einen gibt es die Theorie von der Welt nicht (Hawking sagt, noch nicht). Und leicht zu erklären ist manches auch nicht. Er tut es aber mit einer Eleganz des Denkens, die mir großen Spaß macht zu lesen.
Ach übrigens, das eigentliche Buch zum Film hat Jane Hawking geschrieben und es heißt auf Deutsch: „Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking“. Erschienen 2013 bei Piper. Nach diesem Buch ist der Film gedreht.