Am Mittwoch war die Kanzlerin dort, Donnerstag ich. Die Ausstellung im British Museum „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“. Das British Museum hat das mit anderen Themen früher schon gemacht: 100 Gegenstände. Jeder erzählt eine Geschichte - und alle Geschichten zusammen ergeben ein Bild. 100 Gegenstände also - aus 600 Jahren deutscher Geschichte. Die Geschichten werden natürlich von Briten erzählt - im Museum und im vergangenen Jahr auch in einer BBC-Radioserie. Ich war gespannt auf diese Außensicht. | Ein VW Käfer als Aushängeschild für die Ausstellung über die Deutschen im British Museum |
100 Gegenstände also. Ich erzähle von denen, die mich am meisten beeindruckt haben.
Das erste ist eher kurios. Dürers Kupferstich vom Rhinozeros. Der Kommentar sehr schön: „Durer never saw the beast“. Dürer hat das Tier/Biest nie gesehen. Also sieht es nur ungefähr wie ein Nashorn aus. Aber: Dürers Rhinozeros prägte lange die europäische Vorstellung von dem exotischen Tier. Beweis: Neben Dürers Stich ein ca. 50 cm hohes Rhinozeros aus Meißner Porzellan – das genauso wie Dürers „beast“ aussieht.
Das zweite gar nicht kurios. Eine Nachbildung des Eingangstores von Buchenwald. Was ich nicht gewusst habe: Das Tor wurde von einem Häftling gestaltet, dem Bauhaus-Künstler Franz Ehrlich. So ist der Schriftzug „Jedem das Seine“ in Bauhaus-Lettern gestaltet. Diese Kunstrichtung aber wurde von den Nazis als „entartet“ verboten und verdammt. Eine subtile Form des Widerstandes. Die Nazis haben es nicht gemerkt. Sie haben sogar Häftlinge angestellt, den roten Anstrich der Schrift immer wieder zu erneuern, damit sie sich hervorhebt.
Das Dritte: Ein Modell vom Bahnhof Friedrichstraße. Von der Stasi gebaut für Übungszwecke. Um den Grenzern das Terrain zu erläutern, damit sie Fluchtversuche unterbinden können. (Für die jungen Leser: Der Bahnhof war der Übergang von Ost- nach Westberlin.) Was mich bewegt hat: Das Modell war sichtlich von einem tüftlerischen Hobbybastler gebaut. Mit kleinen Modelleisenbahn-Schienen und Waggons darin (Größe TT) und Liebe zu jedem Detail. Als würde er aus Ausschneidebögen die Wartburg nachbauen oder den Dresdner Zwinger. Die Stasi war ein so lächerlich kleinbürgerlicher Verein. Und beinahe wäre das rührend. Aber diese Typen hatten Macht. Und dann wird einem beim Anblick dieses Modells nur schlecht.
Dann noch…
Bilder von Carl Gustav Carus (Mondnacht bei Rügen) und Caspar David Friedrich. Von letzterem ein Wald. Der (britische) Kommentar dazu: „Der frühe und wichtige Einfluss der Grünen Bewegung ist eine Wiederspiegelung dieser lange gepflegten Fokussierung auf Landschaften.“ Tatsächlich war neben der Atomkraft das Waldsterben eines der ersten Themen der GRÜNEN. Sind wir wirklich eine Nation, die mehr trauert als andere, wenn der Wald stirbt?
Und schließlich das Modell des Bühnenbildes von Mutter Courage von 1949. Brecht hat das Stück 1939 geschrieben als Reaktion auf den deutschen Einmarsch nach Polen. Das Stück lässt er im 30jährigen Krieg spielen. Mutter Courage will vom Krieg profitieren und verliert dabei alles, vor allem ihre Familie, ihre Kinder. Neben dem Bühnenbild eine Pestmaske aus dem 30jährigen Krieg: Die beiden deutschen Katastrophen, die im deutschen Gedächtnis verankert sind. 1618-1648 und 1933-1945. Und Brecht hat das schon 1939 gewusst. Er soll, so der Kommentar des Museums, mit der Aufführung 1949 unzufrieden gewesen sein. Ihm wäre es um die Gier der Mutter Courage gegangen. Die Inszenierung und die Reaktion der Zuschauer habe sich aber auf ihre Trauer gerichtet. Tja, Bertolt, das hatten die Leute gerade selbst erlebt. Und wenn man selbst schuld ist an einem Unglück – und das haben 1949 manche durchaus schon verstanden - macht das die Trauer nicht kleiner, eher größer.
Später war ich noch in Modern Tate. Fotoausstellung „Konflikt Zeit Fotografie“. Fotos aus Kriegen der letzten 100 Jahre. Sortiert nach zeitlichem Abstand.
Unmittelbar danach. Ein amerikanischer Soldat in Vietnam, direkt nach einem Einsatz. Das Gesicht starr. Purer Schrecken spricht aus den Augen. Er sieht 20 Jahre älter aus, als er wahrscheinlich ist. Die Haltung erstarrt. Die Hände umklammern das Gewehr, dass man das Gefühl hat, man würde ihm die Knochen brechen müssen, um die Finger zu lösen.
Und im Gegenteil: Liebliche Landschaften in Belgien in den 2000er Jahren. Nur dass genau an den Stellen 1914-1918 französische Soldaten standrechtlich erschossen worden sind – wegen „Feigheit“. Wenn man es nicht weiß, sieht man nichts.
München in den 80er Jahren: Im ehemaligen „Führerhaus“ ist jetzt eine Musikhochschule. In Hitlers Ankleidezimmer übt Jahrzehnte später eine schöne junge Frau Harfe. Im Keller sind noch Graffitis amerikanischer Soldaten zu sehen: Ortsnamen in fünf Zeilen untereinander. England – Frankreich – Luxemburg – München. Alles das mit Daten von 1944 versehen. Und als letzte Zeile: U.S.A. – 1945, „hoffentlich an Xmas“, also Weihnachten.