Das habe ich schon mal tagsüber fotographiert: Birmingham vom Dach der Bibliothek aus. | Nachdem ich den heutigen Tag größtenteils verschlafen und verdödelt habe wegen einer sich hinschleppenden Erkältung, die langsam auf die Nerven geht, bin ich heute Abend putzmunter geworden. Zum Glück hatte ich die Karte schon lange erworben, sonst wäre ich heute nicht aus der Hütte gekommen. So aber: Hamlets in der Library of Birmingham. In dem Gebäude, von dem ich schon mal erzählt habe (am 17. Februar). |
Und ja: Hamlets. Plural. Das es Experimentier-Theater wird, das war klar. Klar war nur nicht, wie weit sie mit ihren Experimenten gehen. Am Ende war es ein (Singular) ganz normaler Hamlet. Also sie haben das Stück vorne angefangen zu spielen und hinten aufgehört. Dabei wurden genial die verschiedene Räume und Ebenen der Bibliothek ausgenutzt. Natürlich spielte die Szene mit dem Geist auf dem Dach, wo sonst. | Der Geist und die neun Hamlets |
Ein Hamlet versteckt sich vor der Verantwortung, die ihm der Geist gerade aufgeladen hat. | Hamlets, weil es neun Hamlet-Darsteller gab (und drei Ophelias – die anderen Figuren gab es jeweils nur einmal.) Hamlets gibt es so viele, wie es Hamlet-Inszenierungen gibt. Was ist er denn auch für einer? Ist er ein melancholisches Weichei? Ein rebellischer Spätpubertierender? Ein einsamer, superschlauer Streber? Ein romantischer Held? Die neun Darsteller und Darstellerinnen (ja!) haben verschiedene Schattierungen dieser Figur verkörpert. Da gab es die Punk-Lady. Da gab es (auch von einer Frau gespielt) den Liebhaber im persischen Gewand – der an einer Stelle auch persische Liebeslyrik für Ophelia vorgetragen hat. Da gab es den jungen Mann aus Indien, der ein guter Sohn und Mann sein will. Zwei der Darstellerinnen hatten historische Vorbilder: Sarah Bernhardt und Asta Nielsen haben Hamlet gespielt. Und natürlich gab es einen Laurence Olivier – die Schauspiel-Ikone der 40er in England, der alle großen Rollen gespielt hat. |
Das alles klingt verrückt und es gibt nur ein Kriterium, ob es gut ist oder gestelzter Blödsinn: Ob es sich echt anfühlt. Und das hat es. Es hat hingehauen. Es war einfach nur saugut. Drei Ohpelias - ein modernes, europäisches Mädchen, rechts ein junger Mann in historisierendem Kostüm und links eine junge Frau im Sari (die hat ein herzzerreißendes Klagelied auf Punjabi gesungen, als ihr Vater Polonius ermordert worden war). Die Theatermacher haben ganz bewußt bestehende Inszenierungen studiert und einbezogen - und natürlich gibt es auch Hamlet-Aufführungen in Mumbai. |
Begonnen hat alles im Shakespeare-Archiv der Bibliothek, das eines der größten im Lande sein soll, sagt man. Wir wurden von „Archivaren“ ins „Archiv“ geführt. Da standen dann schon mal die Königin und Polonius rum – alle mit angehängten Archiv-Schildern. Und verschiedene Kisten mit Hamlet-Zubehör aller Art. Dann kamen auch noch andere Figuren hinzu. Die verschiedenen Hamlets nahmen ihre Positionen ein. |
Und plötzlich wurden alle lebendig und es ging los. Szene im Schloss-Saal. Hamlets erste Konfrontation mit seinem Onkel. Dieses Mal hatte er es leichter. Er wurde von verschiedenen Hamlets gespielt – er durfte sich den Dialog teilen, da war er nicht ganz so einsam. Der Herr mit Schal hat einen Archiv-Zettel am Revers - er ist also kein Zuschauer, sondern ein Schauspieler. Horatio betritt die Szene. Die grau Gekleideten mit den gelben Ordnern sind die "Archivare", die uns durch die Räume führen (und sehen, daß keiner verloren geht.) |
Dann ging es aufs Dach. Der Geist des Vaters erscheint und teilt den neun Hamlets mit, dass er ermordet worden ist und dass Hamlet ihn bitte rächen möge. Der Geist spukt auch sonst immer mal durch die Bibliothek. Hier liest er - abseits des Geschehens - in einem Buch, das die Bibliothek anscheinend wirklich führt. Es heißt "Haunted Britain", "Spukendes Großbritannien" |
Immer wurden wir von einem Raum in den anderen geführt. In manchen Räumen sahen wir ein Stück Theaterstück. Andere Räume waren eher werkstattmäßig. Man konnte an verschiedenen Ecken verschiedene Dinge sehen. Alles zu sehen war ohnehin nicht möglich, weil immer irgendwo irgendwas geschah. Aber auch das passt zu Hamlet; man kriegt nie alles mit und einem fällt jedes Mal was Neues auf. | Szenenwechsel über die Rolltreppe. Unten wird die Szene "Theater im Theater" vorbereitet. Ich habe einen Platz im Rang, darf mir das also von oben anschauen. |
Der König belauscht Hamlet und Ophelia durchs Bücherregal. | Auf dem Flur „Sein oder nicht sein“ war es spannend. An einer Stelle durften die Zuschauer ein Quiz machen – wer kann den Lückentext des berühmten Monologs ausfüllen? Ich hab mich nicht getraut, mich auf den heißen Stuhl zu setzen. Aber der Engländer, der von seine Frau auf den Stuhl geschubst wurde, war so schlecht, dass ich eingeholfen habe. Am Ende haben wir es zu zweit gelöst – bis auf ein Wort haben wir alles gewusst. |
An anderer Stelle hat einer den aus heutiger Sicht sehr statischen und pathetischen Monolog von Olivier nachgestellt. Und sehr genüsslich war eine der Darstellerinnen, die "Sein oder nicht sein" als Pub-Monolog vorgetragen hat: Sie stand hinter dem Tresen, polierte Gläser, war nicht mehr ganz nüchtern und deklamierte in breitestem Midland-Dialekt – hat funktioniert! | Hier wird großes Kino nachgespielt: To be or not to be that is the question - Laurence Olivier hat dafür 1949 den Oscar als bester Schauspieler bekommen (insgesamt war der Fim sieben Mal nominiert; gewonnen hat er vier Oscars) |
Und man durfte, sollte nach Herzenslust fotografieren. Das gehörte zum Spektakel dazu. So ein schöner Abend! Auf dem Weg zur Schluss-Szene kamen wir an den Toten vorbei: Auf dem Boden liegend Rosenkrantz und Güldenstern. Daneben Yorrick - der schon lange tot ist; und eigentlich nur als Schädel auftritt. (Er hat eine Puppe auf dem Schoß - das ist Hamlet, der ihm auf dem Schoß gesessen hat, als er klein war.) Links am Regal Polonius. Und die drei Ophelias, lesend durch die Bibliothek geisternd. |