Gary führt ihn zu einem Stuhl am Tisch vor der Klasse. John möchte zuerst Kontakt zu uns aufnehmen. Reihum sagen wir unsere Namen, denn sehen kann er uns ja nicht. Er begrüßt jeden einzeln, der sich vorstellt. Dann fängt er an zu erzählen über die „Spiritualität des Geldes“.
Er erzählt kreiselnd. Fängt ganz woanders an. Ich weiß nicht, worauf er hinaus will und denke, was haben die nur alle. Aber irgendwann packt er mich doch. „Wir sind so unwichtige, winzige Wesen auf einem kleinen Planeten in einem unbedeutenden Sonnensystem am Rande einer mittelgroßen Galaxie. Aber wir sind, jedenfalls soweit wir wissen, der einzige lebende Beweis, dass eine Galaxie die Fähigkeit hat, ein Selbstbewusstsein hervorzubringen.“
Diese Fähigkeit, ein Bewusstsein von sich selbst zu haben – und damit ein Konzept vom Anderen, das nennt er Spiritualität. Er redet zweimal eine Stunde. Schwingt sich immer weiter auf in seinen Gedanken. Redet von Plato, Kant, Marx. Keine einfachen Gedanken, aber er erzählt so, dass man ihm folgt und doch gleichzeitig den Atem anhält. Ein paar Gedankenfiguren sind mir vertraut – er bezieht sich auf Grundgedanken von Paul Tillich, dem einzigen klassischen systematischen Theologen, mit dem ich damals im Studium was anfangen konnte. Bei anderen Sachen muss ich erst mal nachdenken, ob das so stimmt. Drei Wege der Kommunikation habe der Mensch: Sprache, Sex und Geld. (Und zeigt in allen drei Fällen auf, wie diese Wege zu Segen und zu Fluch werden können.)
Im zweiten Teil redet er über „Geld und Gott“. Und da kommen wir wieder in sehr nachvollziehbare Gefilde: Was sind die subjektiven Qualitäten des Geldes? Da fällt uns schnell viel ein. Geld verleiht Macht, gibt Sicherheit, verspricht Glück, macht Angst (und zwar sowohl wenn man welches hat – dass man es verliert, als auch, wenn man nichts hat als Schulden), weckt Hoffnungen (warum spielen vor allem arme Leute Lotto?), erweckt Gefühle (warum haben Deutsche 2002 um die D-Mark getrauert, sind Briten so stolz auf ihr Pfund?) Als wäre Geld eine Person. Geld ist etwas, woran wir unser Herz hängen. Und zwar nicht nur die skrupellosen Geschäftemacher, sondern ganz normale Leute.
Geld ist ein Götze, sagt er schließlich. Also sollten wir es so behandeln, wie es ein Götze verdient: als eine reale Größe, die wir ärgern, wo wir nur können. Zum Beispiel (das ist jetzt ein Auszug aus einem Buch, das John geschrieben hat): „Geld liebt Geld. Geld fühlt sich zu Geld hingezogen. Geld will sich vermehren. Es ist unersättlich. Okay. Tun wir also das Gegenteil. Statt zu nehmen, geben wir. Jedes Mal, wenn du fröhlich, aus freiem Herzen gibst, rüttelst du am Thron des Geldgötzen. Deshalb sagt der Apostel Paulus: Den fröhlichen Geber hat Gott lieb. 2. Korinther 9,7.“
Und dann kam heute noch – wie immer verspätet – die Freitagsausgabe der Süddeutschen hier an. Da stand ein großer Artikel über das Kaufhaus in Görlitz drin. Wie Annette im Kommentar am 22. Februar schon geschrieben hat, hat das Kaufhaus mittlerweile einen neuen Besitzer, der es wieder als Kaufhaus öffnen will. Der hat jetzt aber leider für schlechte Presse gesorgt. In Görlitz sollten 80 Flüchtlinge ankommen, Familien, überwiegend aus Syrien. Der Bürgermeister begrüßt das: „Wir brauchen Kinder in der Stadt.“ Er und eine Bürgerinitiative wollten die Flüchtlinge vor Weihnachten mit einem Konzert willkommen heißen. Und sie fanden, das noch leere Kaufhaus wäre ein guter Ort dafür. Aber der neue Besitzer lehnte ab. Die „reisefreudigen Afrikaner, die übers Mittelmeer kommen“, diese „Neger“, die seien ihm nicht recht. Nicht so gut für Görlitz, solche Äußerungen.