Heute gab’s wieder Shakespeare, dieses Mal eine Komödie. „Love’s Labour's Lost“. Zu Deutsch „Verlorene Liebesmüh“. In Stratford-upon-Avon, gespielt von der Royal Shakespeare Company. Es war höchst vergnüglich. (Was nicht selbstverständlich ist; ich habe in Stratford auch schon Aufführungen gesehen, die waren eher royal als vergnüglich.)
Worum geht es? Der junge König von Navarra und seine drei adeligen Freunde Berowne, Longueville und Dumaine schließen einen kühnen Pakt: Sie wollen sich drei Jahre lang von der Welt abschließen und in dieser Zeit ausschließlich studieren. Drei Jahre lang, so schwören sie, werden sie einen Tag pro Woche fasten und die anderen Tage nur eine Mahlzeit essen, werden sie nachts nur drei Stunden schlafen und tagsüber kein Nickerchen machen und werden sie vor allem keine Frau näher als eine Meile in ihrem Umkreis dulden. Während Longueville und Dumaine sich ganz großartig vorkommen und vom Plan ihres Königs ganz begeistert sind, hält Berowne das Ganze von vornherein für gequirlten Unsinn. Er unterschreibt den Pakt nur, weil er nicht damit rechnet, ihn jemals einhalten zu müssen. Zumal gleich zu Anfang ein Hindernis ins Haus schneit: Der langerwartete Besuch der Prinzessin von Frankreich, die in diplomatischer Mission kommt. Die Verhandlungen mit ihr entscheiden über Krieg und Frieden. Das kann man natürlich nicht um eines jugendlichen Eides willen aufs Spiel setzen. Also muss man sich irgendwie mit ihr (und ihren drei Hofdamen!) arrangieren. So nimmt der Spaß seinen Anfang.
Ich hab das Stück schon in zwei anderen Inszenierungen gesehen. Kenneth Branagh hat es 2000 gar nicht so schlecht verfilmt. Er verpflanzt das Stück in die späten 30er Jahre und macht durchaus überzeugend ein Musical draus. Und 2006 habe ich es im (kleineren) Swan-Theater in Stratford gesehen. Da wurde es von einer amerikanischen Gastkompanie gespielt (immer eigentümlich, Shakespeare-Texte mit amerikanischem Akzent zu hören. Obwohl, wenn Ethan Hawke den Hamlet spielt, vergisst man es auch wieder). Die Amis haben an die Beatles gedacht. Auch vier Männer, die 1968 beschlossen hatten, zur meditativen Bewusstseinserweiterung in ein indisches Aschram (klosterähnliches Meditationszentrum) zu gehen. Also spielten sie „Love’s Labour's Lost“ unter indischer Sonne – und zum Teil mit indischem Akzent. Ich fand das damals ein bisschen an den Haaren herbeigezogen und nicht so ganz gelungen.
Hinter der heutigen Inszenierung standen eine Grundidee und eine Entscheidung.
Die Idee: Es gilt als sicher, dass Shakespeare nach „Love’s Labour's Lost“ ein zweites Stück geschrieben hat, das „Love’s Labour's Won“ hieß (also „Gewonnene Liebesmüh“). Was man nicht weiß: Ist das Stück verloren gegangen? Oder verbirgt sich hinter dem Titel ein Shakespeare-Stück, das wir unter einem anderen Namen sehr wohl kennen? Gregory Doran, seit 2012 Schauspieldirektor der Royal Shakespeare Company (und 2008 durch eine atemberaubende Hamlet-Inszenierung aufgefallen), ist davon überzeugt zu wissen, was sich hinter „Love’s Labour's Won“ versteckt: nämlich das Stück „Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“). Also führt er die Stücke als Doppel auf - mit der gleichen Besetzung, derselben Regisseurin, dem gleichen Setting, dem gleichen Bühnenbild.
Die Entscheidung: das Ganze soll (wie schon das Stück über den Weihnachtsfrieden 1914) hier in Stratford spielen. Das Bühnenbild ist also einem englischen Landhaus aus der Gegend nachempfunden. Die Zeit: „Love’s Labour's Lost“ im August 1914. „Love’s Labour's Won” im November 1918. Staffeln eins und drei von „Downton Abbey“ sozusagen.
Also, mindestens der erste Teil davon hat wunderbar funktioniert. Ich fand nichts an den Haaren herbeigezogen. Die Musik war eigens für das Stück komponiert, aber der Zeit nachempfunden: manches mit dem Edward-Elgar-Pathos des untergehenden Empires, anderes im Stil der Salonmusik von Ivor Novello (wer wissen will, wie der geklungen hat, schaue den Oscar-prämierten Film „Gosford Park“ – oder gehe zu YouTube).
Das Stück besteht zum allergrößten Teil aus Klamauk und Possenspiel. Die Männer fallen natürlich der Reihe nach um und verlieben sich in je eine der Damen. Die Frauen kriegen das mit und treiben mit den Männern ihren Schabernack. Ein paar Clowns und Narren laufen auch noch über die Bühne und bekommen – vollkommen zu Recht – mehrfachen Szenenapplaus. Und gerade als der Spaß am größten ist, kippt die Stimmung mit einem Schlag. Das kommt wie ein kalter Wasserguss: Konfetti wieder einsammeln. Ein Bote betritt die Bühne und vermeldet, dass der Vater der Prinzessin gestorben ist. Der Ernst des Lebens bricht herein.
Die Prinzessin beschließt, ein Trauerjahr einzulegen, in dem sie sich zurückzieht. Der König von Navarra versichert ihr eilig, dass – auch wenn bisher alles Alberei gewesen ist – es ihm ernst sei mit seiner Liebe. Sie ist sich da nicht so sicher und verlangt von ihm, dass er sich auch für ein Jahr zurückziehen soll. Er soll auf eine einsame Insel gehen und als Asket leben. Wenn er sie dann immer noch will, dann würde sie über sein Ansinnen nachdenken. Er schwört Stein und Bein, dass er alles tun wird, was sie verlangt.
Interessanter ist der Schluss zwischen Berowne und seiner Dame, Rosaline. Er fragt sie: „Und was verlangst du von mir?“ Und sie sagt: „Du bist so ein Witzbold, immer frohgemut. Ich möchte, dass du in diesem Jahr, in dem ich mich mit meiner Königin zurückziehe, zu den Ärmsten der Armen gehst. Ich möchte, dass du sie sie mit deinem Witz zum Lächeln bringst.“ Berowne ist entsetzt und meint, das sei eine unmögliche Aufgabe. Sie sagt: „Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das ausgeht. Entweder du schaffst es, dann bleib wie du bist und ich nehme dich trotz deines Fehlers. Dann hat deine Frohnatur an Tiefe gewonnen. Oder du schaffst es nicht, dann wird dir der Spaß vergangen sein und ich werde dich nehmen, weil du dann befreit sein wirst von deinem Laster.“ So wird Berowne wird also zum Krankenhaus-Clown, 400 Jahre, bevor die erfunden wurden. Das finde ich eine wirklich schöne Idee. Kenneth Branagh in seinem Film lässt die Männer danach in den 2. Weltkrieg gehen und zeigt Berowne, wie er als Sanitäter sein Letztes gibt.
In Stratford treten die Männer am Ende in englischen Uniformen des 1. Weltkrieges auf. In diesen Uniformen werden, sie – das nehme ich an – zu Beginn des anderen Stückes die Bühne betreten. Denn „Much Ado About Nothing“ beginnt damit, dass Männer aus einem Krieg zurückkommen. Ich freu mich schon sehr auf „Teil II".