Heute habe ich nun die erste Runde von Seminaren rum. Die Dozentin, die letzte Woche krank war, ist wieder (leidlich) gesund und „Knowing and Unknowing“ (Wissen und Nichtwissen) konnte stattfinden. Ich wusste, es wird um mystische Theologie gehen. Mystik meint nicht, was landläufig darunter verstanden wird, also nicht einfach etwas „Mysteriöses“. Mystik ist sich bewusst, dass wir letztlich nicht wissen können, wer oder was Gott ist. Mystik sucht daher einen anderen Weg der Gotteserkenntnis, nämlich den der Gottes-Erfahrung. Es geht um Versenkung in das Geheimnis Gottes. Was mich an Mystikern fasziniert, ist das Ungreifbare und Rebellische. Mystiker lassen sich von Autoritäten nicht einfangen, passen in kein Schubfach. So was gefällt mir immer. Deshalb habe ich mich zu diesem Kurs angemeldet.
Und was für eine Überraschung. Ich komme in den Seminarraum und da thront eine recht füllige Frau unbestimmten Alters. Helen. Graue Haare, zerzaust am Hinterkopf zum Knoten gesteckt. Eine Kette mit großen schwarzen Perlen um den Hals. Später erklärt sie, dass sie absichtlich diese Kette gewählt hat, weil die zum Thema passt. Der Beamer läuft, aber die Leinwand ist leer. Sie braucht ihn erst in der zweiten Hälfte des Seminars. Ab und zu springt dann allerdings ihr Bildschirmschoner an und eine Serie von Fotos erscheint, die alle „Barack“ zeigen. Barack ist nicht der amerikanische Präsident, sondern Helens Katze. (Für alle Katzenfans: Schwarz-Weiß gemustert.) Helen hat sich dieser Katze angenommen, weil die ein Zuhause brauchte, und das obwohl sie allergisch ist gegen Katzenhaar. Sie sagt: „Alle Mystikerinnen lieben Katzen.“ Alle 20 Minuten also springt Helen auf: „Ach, nicht du schon wieder, Barack.“ – Und klickt ihn wieder weg. Sie ist noch sichtlich erkältet und schluckt erst mal eine Menge Hustenpillen. Nach kurzer Zeit wird ihr zu heiß und sie holt einen Fächer raus und fächert sich Luft zu. (Heute Abend hat mir eine Mitstudentin erzählt, dass im vergangenen Herbst lange Zeit die Heizung ausgefallen war. Alle haben gefroren, nur Helen hat immer noch gefächert.) Meine erste Assoziation war Sybil Trelawney aus Harry Potter. Das ist total unfair. Denn Helen ist kein Scharlatan. Sie ist klug und weiß genau, was sie sagt und tut. Aber sie verbreitet Aura. „Viele Mystiker waren bonkers“, sagt sie. Bonkers übersetzt heißt „meschugge“, „bekloppt“ oder auch „reif für die Psychiatrie.“ Helen ist nicht im geringsten bonkers, sondern einfach ein herrliches Original von Frau. Sie erzählt mit Wonne von Hildegard von Bingen, der großen Mystikerin und Äbtissin aus dem 12. Jahrhundert. Die passte (auch) in kein Schema und doch haben ihre Zeitgenossen sie geschätzt und anerkannt. Sie habe „im Tonfall einer Schuldirektorin“ Briefe an die höchsten Herren Europas geschrieben. Als es in Pause geht, ruft Helen mit lauter Stimme in die Runde: „Und jemand bringe mir einen großen Kaffee mit, schwarz!“
Meine "pigeonhole", wörtlich Taubenloch, also: mein Postfach in Queen's | Ich habe heute noch die offizielle Einladung zur „Magdeburg-Gruppe“ am Samstag bekommen. Angehängt war das Protokoll der letzten Sitzung, da steht unter Punkt 4: „Pastorin Kirsten Gommel aus Eisenberg kommt, besucht Queen’s in Birmingham und verbringt eine Zeit mit Reverend Andrew Spurr an der Allerheiligen-Kirche in Evesham.” Ich habe es aufgegeben, den Engländern meinen Namen beibringen zu wollen. Selbst wer ihn geschrieben gesehen hat, buchstabiert ihn um. Kerstins sind in England einfach vollkommen unbekannt. Ich geb’s auf. |