Auf der anderen Seite ist „noise“ ein Wort, für das es keine eindeutige deutsche Übersetzung gibt. Es kann sowohl Geräusch als auch Lärm heißen. Im Deutschen muss man dafür verschiedene Worte nehmen. „Noise“ kann sein – ein Flugzeug, das über mich hinweg donnert oder ein Vogelzwitschern im Wald, das Schnattern eines angeregten Gesprächs oder der Klang eines Bach-Chorals.
Ich hab heut beides erlebt. Früh war wieder Helen dran – dieses Mal ohne Beamer, das heißt ohne Katze Barack. Ihr Seminar beginnt grundsätzlich mit fünf Minuten Schweigen und endet mit 15 Minuten Meditationsübung. Heute habe ich bei ihr ein interessantes Buch kennen gelernt (ist als Taschenbuch nicht teuer, also ist es per Amazon unterwegs zu mir). Diarmaid MacCulloch hat es geschrieben– trotz des durch und durch schottischen Namens ist er in Kent, also England, geboren, Anglikaner und Kirchengeschichtsprofessor in Oxford: „Schweigen, Eine christliche Geschichte“.
Er beschreibt darin auf 250 Seiten eine Reise durch die Kirchengeschichte – immer auf der Suche nach Schweigen und „noise“. Ausgangspunkt, so erklärt er im Vorwort, war für ihn eine negative Sorte von Schweigen. Er sei sich früh bewusst gewesen, dass er homosexuell ist. Für einen jungen Historiker ein halbes Jahrhundert zurück habe sich das aber als Segen herausgestellt. „Schwule Jugendliche waren sich in hohem Maße der Dinge bewusst, die nicht gesagt werden konnten; wann man zu schweigen hat und wie man sich auf andere Weise mitteilen kann.“ Er hat ein Ohr dafür bekommen für die Dinge, die verschwiegen werden und doch da sind. Später hat er auch die andere Sorte Schweigen kennen und schätzen gelernt. Ein Schweigen, das dort anfängt, wo Sprache an ihre Grenzen kommt. Wie will man letztlich schon sagen, wer oder was Gott ist. Kapitelüberschriften heißen also: „Ein Gott, der redet“ – „Sei still vor dem Herrn“ – „Die lautstarken Christen des Paulus“ – „Mönche und mystisches Schweigen“ – „Musik in der Reformation“ und so fort.
Abends war ich dann bei Sam und Mark zu Gast auf ein Bier in einer Runde von Kollegen; mit mir sieben Leute. Sam redet gerne und viel, aber die anderen auch. Irgendwann waren wir dabei angekommen, uns Geschichten von Beerdigungen zu erzählen. Das wurde dann sehr laut und lustig. Ein 80jähriger pensionierter Pfarrer erzählt, wie ihm mitten in einer Beerdigung plötzlich unter dem Talar eine Maus die Hosenbeine raufläuft – und wie er sie möglichst unauffällig wieder abschüttelt. Und eine anglikanische Pfarrerin erzählt eine wunderbare Geschichte: Ein Armenbegräbnis, also nur der Bestattungsunternehmer und sie. Dann kamen doch noch zwei ältere Damen aus dem Altersheim, in dem der Verstorbene gelebt hat. Da hat sie die Predigt als Gespräch gemacht. Hat die beiden erzählen lassen, was sie über ihn wussten, sie hat erzählt, was sie gehört hat… Und als sie dachte, es ist Zeit, sagt sie. „Shall we pray.“ Wieder – in diesem Zusammenhang ist das doppeldeutig. Gemeint hat sie: „Lasst uns beten.“ Sie erwartete also, dass die beiden das als Aufforderung verstehen, die Hände zu falten. Es kann aber auch gemeint sein: „Sollen wir beten?“ So hat es eine der alten Damen verstanden – und wendet sich ihrer Freundin zu und sagt – im Tonfall einer Schwerhörigen: „Was meinst du, sollen wir beten?“ Und die antwortet: „Ja, Mabel, ich glaube, wir sollten.“