Freitag sind ja keine Vorlesungen, also habe ich gründlich ausgeschlafen und fühle mich schon fast wieder gesund. Dann habe ich in den Büchern studiert, die David empfohlen hat. Abends bin ich dann in die Stadt rein gefahren: Birmingham New Street, das ist wie Bahnhof Friedrichstraße. Mitten drin in der großen Stadt. Und Friday Night, Freitagabend, also viel los.
Im Vorbeigehen schnappe ich einen Satz auf, der mich schmunzeln lässt: „I whatsapp you!“ Wie sich die Zeiten ändern… Ich erinnere mich, am 10. November 1989 hör ich früh im RIAS die Nachricht, dass die Mauer auf ist, dass alles vorbei ist. Ich war allein zu Hause, aber mit so was kann man nicht allein bleiben. Also machte ich mich auf den Weg, denn: Keiner meiner Freunde (ich auch nicht) hatte ein Telefon. Ich wollte zu meinem Freund Veit, der wohnte im Theologenwohnheim in der Johann-Friedrich-Straße in Jena. Dort aber sagt man mir: Veit hatte genau denselben Drang und wollte Freunde sehen. Er hatte sich also auf den Weg gemacht. Am Ende haben wir uns gefunden (und sind noch am selben Tag nach Berlin gefahren, aber das ist eine andere Geschichte…) Ein paar Monate später kommt mein Bruder Steffen aus dem „Westen“ zu Besuch und erzählt, wie anders das Leben dort doch ist. Man verabredet sich nicht zu festen Zeiten. Man kommt nur überein, dass man sich treffen will. Und dann heißt es: „Wir telefonieren…“ Auf English hieße das: „I call you.“ Zu Jane Austins Zeiten hat man das auch schon gesagt: “Please call again, Mr Bingley.” Dann sollte Mr. Bingley aber nicht anrufen, sondern wieder zu Besuch kommen: „Besuchen Sie uns wieder, Mr. Bingley.“ Heute heißt „I call you“: „Ich ruf dich an.“ Dann kamen die Handys und es hieß: „I text you.“ Auf Deutsch dann ganz unsäglich: „Wir simsen.“ Und nun also: „I whatsapp you.“ (Für die Altmodischen: WhatsApp ist ein Programm auf smarten (Tele)Phonen, mit dem man im Wesentlichen sowas wie SMS schicken kann, nur das die nichts kosten, weil es über das Internet geht und man hat auch kein Limit, was die Buchstabenanzahl angeht. Und da ich in diesen Dingen selber ein Fossil bin – falls daran etwas falsch erklärt ist: Da gibt’s die Kommentar-Funktion dafür.) Ich whatsapp dir. Du meine Güte…
Was ich auf der New Street gemacht habe? Ich war im Kino. Es ist Freitag. Neue Filme kommen in Großbritannien freitags heraus. Heute habe ich „Mortdecai“ gesehen – deutsche Filmverleihs haben ihm den unsäglichen Namen “Mortdecai – Der Teilzeitgauner” gegeben. Den Hauptdarsteller Johnny Depp habe ich bis zum Schluss nicht erkannt. Irgendwie gehört der für mich in die Kategorie der „schönen“ und damit verwechselbaren Schauspieler… Aber gefallen hat er mir in dieser Rolle. Die Kritiken waren nicht sehr freundlich mit dem Film. Aber ich habe mich sehr amüsiert. Es ist eine absurde Komödie. Depp spielt die Karikatur eines Aristokraten mit Schloss, vielen (Steuer-)Schulden und einer schöner Frau (Gwyneth Paltrow), der auf der Suche nach einem verschollenen Goya-Bild ist, es dabei mit MI5 (Ewan McGregor), mafiösen Russen und Chinesen und anderen Gaunern zu tun bekommt. Die Sache spielt in London, Moskau und „in den Kolonien“, also in Los Angeles. Manchmal bin ich an Bully Herbig erinnert worden - nicht so sehr an das Tuntige, aber das Schräge, Absurde… Und wie bei Dinner For One gibt es einen Satz, der immer wiederkehrt: Mortdecai fragt seinen Diener-Butler-Bodyguard Jock: „Will it be good in the end?“ Und Jock antwortet: „Wouldn’t know, Sir.“ (Wird es ein gutes Ende nehmen? Woher soll ich das wissen, Sir.) Natürlich nimmt es ein gutes Ende, nur sehr anders, als wir (und Mortdecai) es uns gedacht haben.
Vorher hab ich noch bei einem Italiener gegessen – auch auf New Street. Wenn man mal echt in Italien war und dort gegessen hat, merkt man, dass „Italiener“ sich mit ihren Restaurants den Gastländern anpassen. So auch hier. Bei einem englischen Italiener gibt es immer auch Burger. Schräg. Aber englisches Restaurantpublikum erwartet das auf der Karte. Ich hab Nudeln gegessen. Das Rezept hat aber auch irgendwie britisch geschmeckt – was nichts Schlechtes ist. Die britische Küche ist weit besser als ihr Ruf. Burger allerdings… Hier in Queen’s scheint das das Standard-Freitags-Mittagessen zu sein: Burger mit Pommes und weißen Bohnen in Tomatentunke. Für mich Inbegriff des Igitt. Zum Glück gibt es hier immer die Alternative, sich eine Folienkartoffel zu nehmen und am Salatbuffet zu füllen. Das hab ich heute Mittag getan, als Michael mich gefragt hat, ob ich Pläne für’s Wochenende habe. | Die Eisenberger OTZ hat am Freitag tatsächlich meinen Artikel gedruckt. Hier ist das Beweisfoto dazu: Eine aufgeräumte Küche. (http://eisenberg.otz.de/web/eisenberg/startseite/detail/-/specific/Eisenberger-Pfarrerin-mit-erstem-Reisebericht-aus-Birmingham-372464171) Mein (halbes) Kühlschrankfach - und keiner futtert mir was weg... |