Montag 11.44 Uhr. So. Da bin ich wieder. Es geht mir besser. Also, gestern.
Da habe ich etwas gemacht, das wollte ich schon seit ungefähr 32 Jahren machen. Damals an der Uni in Jena hatte ich für Herrn Professor Pältz in Kirchengeschichte eine Seminararbeit zu schreiben über George Fox. Der hat 1648 hier in England eine neue Gemeinde gegründet. Die nannte sich „Gesellschaft der Freunde“. Weil die „Freunde“ in ihren Gottesdiensten manchmal in Ekstase gerieten und zitterten, wurden sie – zunächst als Spottname – Quaker, Zitterer genannt.
Ich fand es damals sehr beeindruckend, was ich über die Quäker gelesen habe. Vor allem, dass sie immer wieder so unbestechlich gewesen sind. Von Anfang an haben Frauen in den Gemeinden die gleiche Rolle gespielt wie Männer. Quäker waren die ersten, die für die Abschaffung der Sklaverei arbeiteten. Quäker haben sich an keinem Krieg beteiligt, stattdessen sich um die hungernden Kinder der „Feinde“ gekümmert. Das ist schon beeindruckend.
Gottesdienst feiern sie im Schweigen. Man weiß nicht genau, wann und wie das eingeführt wurde. Aber ziemlich von Anfang an haben Quäker sich versammelt und schweigend auf Gott gewartet. Und das wollt ich doch gerne mal erleben, wie das geht. Zu den Versammlungen jeder grundsätzlich und ohne Vorbedingungen eingeladen. Also bin ich statt in den anglikanischen Gottesdienst ins Versammlungshaus um die Ecke.
Ein Quäker-Versammlungshaus hat Bänke an allen vier Seiten stehen. Das war auch hier so. aber die Bänke waren nach hinten gerutscht und zwei Reihen Stühle im Kreis gestellt. In der Mitte stand ein Tisch mit Blumen und Büchern. Das waren, denke ich, eine Bibel und Schriften von George Fox. Im Vorraum hielt man ein Schwätzchen. Aber wenn man den Raum betritt, setzt man sich still auf einen Platz. Für die mit den kurzen Beinen gibt es Fußkissen. Und dann ist Schweigen. Eine Stunde lang. Auf der Quäker-Homepage von Evesham drücken sie es doppeldeutig aus: Schweigend auf Gott warten – und es kann aber auch heißten schweigend Gott aufwarten. Man kann das schlecht beschreiben, aber es ist sehr beeindruckend. Zu seiner Zeit war es mutig. Quäker sind ins Gefängnis gekommen für ihre Art Gottesdienst zu feiern. Am Ende geben sich alle die Hand und der Gottesdienst ist vorbei. Es folgen Bekanntmachungen. Und dann – wir sind in England! – Tee und Kekse. Am Ende haben mich ein paar Frauen noch eingeladen, ins Café zu gehen.
Quäkergemeinden sind höchst unterschiedlich, auch in ihrer Theologie. Es gibt evangelikale Quäker und liberalere. Diese hier in Evesham sind sehr frei. Das ist auch die Anziehungskraft für die Frauen, mit denen ich gesprochen habe. Eine stammte aus der methodistischen Kirche, eine aus der anglikanischen, eine aus der katholischen. Die ehemalige Methodistin sagte: „Hier bei den Quäkern, da kann ich sein, wie ich bin, da werden von mir keine Vorleitungen erwartet.“ Die Ex-Katholikin erzählte, wie sie neulich bei einem katholischen Begräbnis gewesen ist, und das Ritual, das war schon schön. Der ganze Weihrauch und das da vorne einer stand, der sagt wo es lang geht; das sei schon tröstlich gewesen in ihrer Trauer. Aber sie weiß einfach, was sie in dieser Kirche dann auch noch alles schlucken müsste, und „da bin ich dann doch viel zu rebellisch.“ Manchmal wird in Quäker-Gottesdiensten auch geredet. Wenn es sich richtig anfühlt, dann darf jeder aufstehen und sagen, was ihm oder ihr durch den Sinn geht. Eigene Gedanken, Bibelverse, oder Gedanken aus einem Buch. Gestern war ihnen nicht danach.
Und: So unstrukturiert, wie der Gottesdienst wirkt, es gibt natürlich Strukturen. Man muss schließlich ein Haus unterhalten und andere Entscheidungen treffen. Das wird in Versammlungen gemacht, die monatlich nach dem Gottesdienst sind. Außerdem gibt es regionale Treffen. Und Vorträge, also eher bildungs-orientierte Treffen.
Es war eine sehr angenehme Art, den Sonntagvormittag zu verbringen.
Andy, ehrenamtlicher Pfarrer in Norton und Mary, auf deren Hof wir eingeladen waren | Und Nachmittag gab es „Rogation“ (englisch auszusprechen – Rogähschen; na das ist mehr sächsisch). Bei uns heißt der Sonntag Rogate, deutsch „Betet!“. Und früher war es auch bei uns üblich, dass man an dem Sonntag über die Fluren geht und um gutes Wachstum bittet. Hier in Norton wird das noch praktiziert. Wir haben uns also auf einem Hof getroffen. Und es gab Lesungen und Gebete und Segensworte – für die Scheunen und die Maschinen und die Weiden und die Felder… |
Andy, der ehrenamtliche Pfarrer, leitete den Gottesdienst und hatte mich gefragt, ob ich mitmachen will. Natürlich wollte ich! Es war ein kleines Grüppchen, wie das so ist auf den Dörfern. Wir haben in der Scheune begonnen und sind dann zur Wiese und zu den Feldern gelaufen. Keine weiten Wege; es waren alles alte Menschen. Früher war das mit Sicherheit anders. Da waren das Wanderungen. Die Männertagsumzüge bei uns sind übrigens ein säkulares Überbleibsel dieser Tradition! |